No Grusel in September!
von Katharina Eigner
Ein bisschen Ordnung hin und wieder macht den Kopf frei, Platz für Neues und vermittelt das Gefühl, das eigene Leben im Griff zu haben. Meine Psychohygiene: der halbe Krimskrams darf zurück an seinen Platz, alles andere fliegt raus, und schon sehe ich wieder Licht am Horizont.
Also kämpfte ich mich neulich durch Dateien und lose Blätter meines bisherigen Geschreibsels, legte drei neue Ordner an, löschte sie wieder und entdeckte Folgendes:
Noch nie hatte ich im September gemordet! Der neunte Monat des Jahres ist, was morbides Geschehen betrifft, ein weißer Fleck auf meiner persönlichen Schreib-Landkarte.
Leicht irritiert entsorgte ich veraltete Notizzettel und beschloss, meiner letalen September-Enthaltsamkeit auf den Grund zu gehen, denn ich war mir selbst ein Rätsel. Im August hatte ich es schließlich schon getan. Auch im Oktober.
Während ich das Altpapier zum Container trug, fröstelte ich und hörte die ersten braunen Blätter unter meinen Sohlen knistern, was mich noch mehr irritierte. Denn herabfallendes Laub und sinkende Temperaturen rollen dem Herbst dem roten Teppich aus und läuten die sogenannte „Kuschelzeit“ ein. Die Buchhandlungen locken mit Neuerscheinungen und wohligem Grusel, die Einrichtungsbranche drapiert Strickdecken und samtene Polster, soweit das Auge reicht, in Oliv-, Curry- und Bordeaux-Tönen. In der Bar werden weißer Spritzer und Aperol von Sturm und Gute-Laune-Tee verdrängt. Hausfrauen-Magazine beten Kürbis- und Sanddorn-Mantras vor, und wer die Fotos vom letzten Urlaub nicht spätestens jetzt vom Handy geladen hat, wird es vermutlich für immer bleiben lassen. Alles normal soweit, dachte ich und fand noch immer keinen Grund, warum sich im September kein Mord unterbringen ließe. Allerdings: Bordeaux als Farbe gefällt mir nur im Glas und samtene Polster verunsichern mich seit jeher. Ich schaffe es nie, alle Härchen in dieselbe Richtung glattzustreichen. Außerdem grusele mich wahnsinnig gern, ob passiv als Leserin oder aktiv als Autorin. Aber nicht im September. Warum?
Die Antwort lieferte mir ein paar Tage später der Schulbeginn meiner Tochter. Bilder und Gerüche katapultierten mich in meine Kindheit zurück: Unbeschriebene Hefte, frisch gekaufte, bunte Strickpullis und der Geruch von geputzten Klassenräumen mit gewaschenen Vorhängen. Schule im September war immer schon Neubeginn und Magie. Zumindest für mich.
Schwer zu erraten, dass ich jedes meiner zwölf Schuljahre und das Studium geliebt habe.
Warum ich nicht Lehrerin geworden bin, habe ich Eltern, Tante und Großvater zu verdanken: Sie alle haben diesen Beruf ausgeübt, offenbar darunter gelitten und so für einen frühzeitigen Overkill meinerseits gesorgt. Aber die Liebe zur Schule und allen Utensilien konnten sie mir nicht nehmen. An unbeschrifteten Schulheften komme ich nicht vorbei, der Duft von chlorfrei gebleichtem Papier macht mich fröhlich, frisch gespitzte Holz-Bleistifte könnte ich bundweise als Sträuße dekorieren, und beim Anblick von unbenutzten Radiergummis schmelze ich dahin. Im September ist jeder Schreibwarenladen mein Happy-Place, und nicht mal der abgefeimteste Mord kommt dagegen an!