Von Wortkunst, Stimmtraining und Mutproben

von Katharina Eigner

„Diesen Tag vergisst du nie“, prostete mir Salzburgs erste Krimi-Buchhändlerin kurz vor meiner Premierenlesung zu. Sie hatte nicht übertrieben: Es war Drama pur. Die Bilanz:

1 kaputtes Beistelltischchen (das sich weigerte, einer Zuhörerin als Sitzgelegenheit zu dienen und als Protest zusammenbrach), in Folge 1 Verdacht auf Schädel-Hirn-Trauma (als die Beistelltischchen-Mörderin mit dem Hinterkopf auf die marmorne Fensterbank prallte),

1 Rettungseinsatz für besagte Dame, gefühlte 60 Grad Raumtemperatur dank westseitiger Glasfront, 48 fächelnde ZuhörerInnen nahe dem Kreislaufkollaps. Übrigens: Beistelltischchen und Zuhörerin sind wieder wohlauf!

Ich will nicht näher darauf eingehen, nur so viel: Dagegen waren die Worte meines Vaters, der die eigentliche Lesung nüchtern analysierte, harmlos wie eine Glückskeks-Botschaft: „Hebe deine Stimme und vollbringe Großes!“ Seiner Meinung nach lese ich zu schnell, einen Tick zu leise und undeutlich und spreche das Publikum zu wenig an. Er muss es wissen, schließlich hat er in seinem Berufsleben rhetorisch zweifelhaften Lehramts-Studenten den richtigen Feinschliff verliehen. Außerdem hat er Recht! Mit Genuschel erreiche ich niemanden.

Also nutze ich die Zeit bis zur nächsten Lesung mit professionellem Sprech- und Stimmtraining. Ich lese aus meinem neuen Krimi und stoße bereits beim ersten Satz an meine Grenzen: „Das Klimpern von Liebeskugeln in einem Hintern – unvergesslich!“

Wie bringt man diese anrüchige Wortkombination lässig rüber? Denkt das Publikum, ich plaudere aus meinem eigenen Sex-Nähkästchen?

Das Problem dabei ist, ich selbst habe diesen Satz verbrochen und muss jetzt kläglich daran scheitern. Unwillkürlich beschleunige ich mein Sprechtempo, um zu den harmloseren Sätzen zu gelangen. Der Stimmtrainer rügt mich: „Du schämst dich für deinen eigenen ersten Satz?“ Ich nicke betreten. Theoretisch bin ich stolz auf das Kopfkino, das ich damit auslöse. Und darauf, dass meine LeserInnen nicht angewidert das Buch zur Seite legen, sondern den restlichen 300 Seiten eine Chance geben. Der erste Satz soll ködern, heißt es. Er soll einen Vorgeschmack auf den Ton der Geschichte und auf die Protagonistin liefern. Der erste Satz ist ein Gesamtkunstwerk, an dem man am Schreibtisch penibel feilt. Von Vorlesen ist zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht die Rede. Ich könnte auch eine andere Lesestelle aussuchen, schlage ich vor, aber der Trainer ist gnadenlos. Dieser Satz und kein anderer!

Also übe ich verzweifelt, gestikuliere zu meinen Worten und trage den Satz immer wieder vor. Ich hebe meine Stimme und spreche betont langsam. Vor dem offenen Fenster pflegt derweil eine Nonne den benachbarten Klostergarten und sieht irritiert zu mir herüber. Kurz bevor ich beschließe, den nächsten Krimi mit „Es war einmal…“ zu beginnen, schreit der Trainer begeistert: „Spitze, jetzt hast du´s!“ Ich bin erschöpft, aber glücklich. Und lerne daraus:

Hürden sind da, um bewältigt zu werden. Selbst wenn es Liebeskugeln in einem Hintern sind.