Von Gruppendynamik und Supercampern

von Katharina Eigner

Camping polarisiert; Fraktion Zelt stolpert fluchend über die Lichterketten von Fraktion Glamping, die ihrerseits Angst hat, müffelnde Wurfzeltbewohner könnten die duftkerzengeschwängerte Urlaubsluft wegatmen. Die Ultras unter den Campern erkennt man an Gartenzäunen und -Zwergen.

Für die einen der Himmel auf Erden, für die anderen ein No-Go bietet der Urlaub unter Sternen allerdings mehr als nur klamme Handtücher am Morgen und rutschige Fliesen im Waschhaus, nämlich Unterhaltung pur. Denn so ein Campingplatz ist ein Mikrokosmos.

Zufällig zusammengewürfelte Menschen, grundverschieden, mit nur einem Ziel: Erholung.

Die Faustregel für jedes Manuskript (Konflikte, Konflikte, Konflikte!) ist Programm. Hier prallt Ruhebedürfnis auf lautstarke Verdauungsprobleme des Nachbarn, befetzen sich Ehepaare tagsüber und versöhnen sich nachts gut hörbar und schaukelnd. Der ganz normale Wahnsinn eben, wenn das Leben plötzlich auf einem Rasenstück in Vorgartengröße stattfindet. Erstaunlich, dass nur wenige Gewaltverbrechen auf Campingplätzen bekannt sind, denn auch Mordgelüste haben Urlaub und sind schlimmstenfalls als blinder Passagier mit vor Ort.

Angenommen, man betrachtet alle gleichzeitig Urlaubenden auf einem Campingplatz wissenschaftlich als Gruppe und kombiniert Wilfred Bions Grundannahmegruppe mit dem kriminellen Potential, das in uns allen schlummert (laut Bion sind alle Gruppenzusammenhänge affektgeladen; absolut zutreffend in Urlaubszeiten): Was wäre das Resultat?

Phase eins: Dependenz/Abhängigkeit, dezentes Wutbrodeln im Bauch

Wie in jeder Gruppe kristallisiert sich auch am Campingplatz recht schnell ein Alpha-Tierchen heraus. Ein Leiter, in Sachen Wissen und/oder Kompetenz den anderen überlegen, in diesem Fall der Supercamper. Nur er besitzt die stärksten Sturmgurte, sein Vorzelt ist die textile Perfektion und seine Verlängerungskabel reichen bis in die Mongolei. Neuankömmlingen auf dem Stellplatz wird seine Erfahrung beim Manövrieren des Wohnwagens zuteil und sie freuen sich über die geliehenen Kabeltrommeln. Ihr anfangs freundliches Lächeln friert allerdings um ein paar Grad ein, wenn die Satellitenschüssel am Wohnwagendach des Supercampers sichtbar wird. Es folgt inständiges Hoffen, die Schallwellen des TV-Gerätes mögen an der Grenz-Wäscheleine Halt machen. Zähneknirschendes Akzeptieren der überlauten Fußballübertragung. Noch verneigen sich die Neuankömmlinge vor der Erfahrung des Supercampers und sind um gute Nachbarschaft bemüht. Dass ihre Lungenbläschen beim Aufblasen des inselgroßen Plansch-Einhorns nicht geplatzt sind, verdanken sie nur seinem elektrischen Blasebalg. Im wirklichen Leben allerdings, also zu Hause, würde demonstratives Fensterzuknallen signalisieren, dass man keine Lust auf Co-Fernsehen hat, und man würde diesem Klugscheißer aus dem Weg gehen.

Phase zwei: Paarbildung und konkrete Pläne zur Beseitigung des gemeinsamen Feindes

Schon nach dem ersten Frühstück trifft man beim Abwaschen auf Gleichgesinnte. Paarweise finden sich die, die das Schnarchen des Supercampers um den wohlverdienten Schlaf gebracht hat und deren Nerven blank liegen. Die, die seit Tagen kein Frischwasser haben, weil die Supercamper-Kinder ihre Fahrräder vor dem Wasseranschluss parken. Die, deren Wäsche müffelt, weil die Supercamper-Frau die Gemeinschafts-Waschmaschine blockiert. Weiters stellt sich heraus, dass der Supercamper penibelst auf Einhaltung von gefühlt 795 Regeln am Campingplatz pocht, die er selbst allerdings gründlich missachtet. Sein präpotentes Verhalten als Platzgockel erregt Unmut, seine Sympathiepunkte rasseln kellerwärts.

Die Gruppe der unerfahrenen Camping-Neulinge hat mittlerweile selbst Supermärkte und Werkstätten ausfindig gemacht und ist nicht mehr auf das Alphatierchen angewiesen. Hoffnung keimt auf, die Gruppe denkt zukunftsorientiert und plant die Ausschaltung von Supercampers alles überstrahlender Macht. Die Realisierung der Hoffnungen stellt jedoch eine Gefährdung des Gruppenzusammenhalts dar. Bei Zitronella-Kerzen und Prosecco wird der Umsturz geplant; zarte Loyalität bestimmt das Klima, verhaltenes Kichern über das Alphatierchen schweißt zusammen.

Phase drei: Kampf und Flucht, Supercampers Dasein endet fremdbestimmt

Die Gruppe ist durch mehrere gemeinsame Abende mit starkem Alkoholkonsum gestärkt. Es herrscht Einigkeit: Dem tyrannischen Treiben des Alphatierchens muss ein Ende gesetzt werden, um sich selbst und künftiger Neuankömmlinge Willen. Entspannung, selbstbestimmtes Handeln und freier Zugang zu Trinkwasser stehen auf der allgemeinen Agenda, äußerlich ergibt die Gruppe ein harmonisches Bild. Das Finale Grande wird einstimmig beschlossen, Detailfragen wie vermeintliches Stolpern am Wanderweg, Ertränken im Badesee oder Schädelbruch durch herabfallende Zeltstangen sind noch zu klären. Nicht Verstand und Intelligenz bestimmen den Prozess, sondern eigennützige Aspekte. Die Gruppe handelt frei von Ratio und erstaunlich dynamisch, löst sich nach Erreichen des Ziels aber bald wieder auf.

Resultat: der Campingplatz als Schmelztiegel von Emotionen und Ideen hat das Zeug zum Traumurlaub oder zum lebensgefährlichen Albtraum.