Ernsthaft!

von Katharina Eigner

Als ich neulich den Blumen am Grab meines Schwiegervaters beim Verdursten zusah, musste ich an den Tod denken. Nicht schreibbedingt, sondern in eigener Sache.

Woran werden sich meine Hinterbliebenen erinnern? Was wird man über mich sagen?

Weil ich wichtige Dinge gern selbst in die Hand nehme, entwarf ich meine eigene Grabrede. Nüchtern und frei von jeder Romantik, knackig und schnörkellos, mit einer Prise Humor. Quasi britisch. Das Gesicht zum schmiedeeisernen Grabkreuz gewandt, murmelte ich die Rohfassung einige Male vor mich hin, feilte da und dort am Satzbau und lächelte den Grabnachbarn konzentriert zu. Allerdings schrieb ich die Rede nicht auf, obwohl das Notizbuch in meiner Tasche steckte. Erstens, weil ich gesunde 42 Jahre alt bin, es fehlte schlicht der Anlass. Zweitens, weil eine Grabrede in der Flut meiner Krimi-Notizen sowieso niemandem aufgefallen wäre, wenns drauf ankommt. Also verpufften die Worte wieder, und während ich vertrocknete Blätter aus der Graberde zupfte, plagte mich eine Frage:

Was, wenn niemand meine große Leidenschaft, das Schreiben, ernst genug nähme? Zumindest nicht derjenige, der tatsächlich einen Nachruf auf mich verfassen würde?

Randnotiz: Meine Sorge hatte nichts mit Eitelkeit, Bestsellerlisten oder Wikipedia-Einträgen zu tun. Ich fürchtete einfach, dass meine Liebe zum Morden auf Papier nicht ernst genug genommen würde, um es in eine Trauerrede zu schaffen. Stattdessen Sätze wie:

Sie checkte ununterbrochen ihre Mails, aber ihre Geburtstagsgedichte waren ganz nett.

Der Angstschweiß trat mir aus allen Poren, denn abgesehen davon, dass ich tatsächlich zu viel Zeit vor dem Bildschirm verbringe, fürchte ich nichts mehr als das Wort nett. Es ist eine blumige Umschreibung für sinnloses Bemühen. Nett ist die kleine Schwester von Scheiße, heißt es. Die verdorrten Blätter rehydrierten in meiner schweißnassen Hand, gesenkten Hauptes trollte ich mich vom Grab meines Schwiegervaters. Den tröstenden Blick der Mesnerin nahm ich nur aus dem Augenwinkel wahr.

Zwei Tage später war ausgerechnet mein digitales Postfach Grund für einen Stimmungswechsel: Totales Datenleck, ich saß nachrichtenmäßig auf dem Trockenen. Ich brauchte professionelle Hilfe und suchte einen Techniker auf. Der nette Kerl versicherte, dass er meine Mails aus dem digitalen schwarzen Loch wieder zurückzaubern könne, und ging ans Werk. Anfangs arbeitete er hochkonzentriert, aber nach wenigen Minuten wurde er nervös. Fahrige Bewegungen, unsichere Blicke nach allen Seiten, Schweißflecken unter den Achseln. Ich ahnte Schlimmes.

„Ihre Mails…“, flüsterte er, drehte das Smartphone zu mir und tippte auf das Display.

„Was ist damit?“ War er mit der Datenrettung überfordert? Waren auch meine Kontakte gelöscht? Aber statt leerer Ordner ploppten alle Nachrichten der vergangenen Monate vor mir auf. Der Techniker zitterte am ganzen Leib und tippte auf die Adresszeile: Mörderische Schwestern. Die Betreffzeilen sprachen für sich: Wie lange kann man Würgemale bei Wasserleichen nachweisen? Kann man tödliches Cucurmin aus selbst gezüchteten Zucchinis gewinnen? Wie manipuliert man Autobremsen?

Und obwohl es eine halbe Stunde dauerte, die gerufene Polizei von meiner Unschuld zu überzeugen, hatte mir der Techniker eine großen Gefallen getan, denn ich wusste: Ich wurde ernst genommen.