Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett - Teil III

von Susanne Rüster

 

Von der Hobby- zur Profi-Ermittlerin.

Lange war das Krimi-Genre eine Domäne der Männer. Frauen tauchten als schöne Leiche oder strickende Amateurdetektivin auf. Seit den 1920er Jahren begannen Frauen, Krimis zu schreiben, allerdings klassische Whodunit-Literatur mit männlichen Helden. Agatha Christie ließ den schrulligen Belgier Hercule Poirot mit Spürsinn und scharfem Verstand Morde aufklären. Dorothy Sayers und Margery Allingham schickten die adeligen Akteure Lord Peter Wimsey und Albert Campion als Police-Detectives auf die Spur. Die erste weibliche Ermittlerin war Miss Marple, erschaffen von Agatha Christie (Mord im Pfarrhaus, 1930). Die Krimi-Pionierinnen unterschieden sich deutlich von den männlichen Autoren (Dashiel Hammet, Raymond Chandler) und deren arroganten, rational und teils brutal agierenden Detektiven (hard-boiled) und sie prägten den klassischen Rätselkrimi – den Whodunit. Die Heldinnen wurden meist zufällig mit Verbrechen konfrontiert und klärten sie inmitten ihres Alltags als Hausfrau und Mutter mit Beobachtungsgabe und Intuition als „Armchair Detectives“ auf. Sie schrieben Krimis mit psychologischer Tiefe, suchten den besonderen Blick wie Margaret Millar, die den Psychiater Paul Prye ermitteln ließ. Dorothy Sayers, die in ihren Romanen Lord Peter Wimsey ermitteln lässt, stellte ihm die fiktive Kriminalschriftstellerin Harriet Vane zur Seite. Zunächst folgte Sayers den Konventionen des Genres, wagte aber 1935 mit ‚Gaudy Night‘ (‚Aufruhr in Oxford‘) Außergewöhnliches: Harriet Vane kehrte für einen Vortrag an ihr Frauencollege nach Oxford zurück und erlebte dort Anschläge auf Professorinnen, Studentinnen und sich selbst – auf selbstbewusste Frauen. Harriet Vane klärte die Reihe von Übergriffen auf und beschrieb die Geschichte der Frauen an diesem College, ihre Charaktere, Fähigkeiten, Talente, zeigte die Hindernisse und Widerstände auf, gegen die die Frauen für ein selbstbestimmtes Leben kämpfen mussten. Mit diesem Werk begann die Geschichte des feministischen Kriminalromans.

Die Weiterentwicklung musste allerdings warten. In den 40iger und 50iger Jahren gab es wenig Platz für selbstbewusste Frauenliteratur. Die US-amerikanischen Hard-boiled-Autoren Dashiell Hammett und Raymond Chandler wollten den Mord ‚aus der venezianischen Ziervase ziehen‘ und ihn wieder auf die Straße bringen - ‚zu den Menschen, die wirklich einen Grund hatten zu töten‘.

Patricia Highsmith wählte eine Generation später einen anderen Weg. Im Mittelpunkt ihrer psychologischen Kriminalromane stand nicht die Aufklärung von Verbrechen (Whodunit), sondern die Umstände und Motive (Whydunit) rückten in den Focus. Die Geschichte einer lesbischen Liebe schrieb Highsmith unter dem Pseudonym Claire Morgan, um die eigene Homosexualität im damaligen konservativen Klima nicht öffentlich zu machen.

Aus ähnlichen Motiven benutzten manche Autorinnen geschlechtsneutrale Namen. So veröffentlichte die englische Autorin Celia Fremlin ihre psychologischen Romane unter dem geschlechtsneutralen Kürzel P.D. James, und die französische Krimi-Autorin Frédérique Audoin-Rouzeau wählte selbst dreißig Jahre später das männliche Pseudonym Fred Vargas.

Die Außer-Haus-Ermittlerinnen

Erst in den 60er und 70er Jahren verließen die literarischen Amateurdetektivinnen ihr Haus und wurden in ihrer Berufstätigkeit mit Verbrechen konfrontiert. So schickte die Frauenrechtlerin Carolyn Heilbrun (Pseudonym: Amanda Cross) die Literaturprofessorin Kate Fansler auf die Jagd, es folgte u.a. die Reporterin Laurie Moran der Thrillerautorin Mary Higgins Clark. Die Schriftstellerinnen ließen ihre Protagonistinnen nicht nur in Mordfällen ermitteln, sondern widmeten sich dem Platz selbstbewusster, gebildeter Frauen in Partnerschaft und Gesellschaft.

Hard-boiled-women

In den 80ern erlangte der von Frauen geschriebene Krimi weitaus größeres Gewicht. Die Protagonistinnen der US-Amerikanerinnen Sara Paretsky, Sue Grafton, Marcia Muller und der Britin Liza Cody waren Berufsdetektivinnen. So ermittelte Sharon McCone, die Figur von Marcia Muller, in San Francisco, Sara Paretzky schickte ihre Chicagoer Detektivin Vic Warshawski auf die Spur, die Kalifornierin Kinsey Millhone von Sue Grafton löste ihre Fälle in alphabetischer Reihenfolge von A (is for Alibi) bis Y (is for Yesterday). Die Londoner Detektivin Anna Lee der britischen Autorin Liza Cody trug im Gegensatz zu ihren amerikanischen Kolleginnen keine Waffe.

Diese und andere Autorinnen schufen die Figur der hartgesottenen Ermittlerin, die ihrenmännlichen Kollegen an Kraft und Durchsetzungsstärke nicht nachstanden.So schoss Vic Warshawski zielsicher, trank, fluchte wie Sam Spade, hatte immer eine schlagfertige Bemerkung parat und setzte ihre Fäuste ein wie ihren Verstand. Jedoch gab esimmer eine politische Botschaft, wenn Vic Warshawski ermittelte: Mord im Frauenhaus, Anschlag auf eine Abtreibungsklinik, Delikte in der katholischen Kirche. Es ging um Verbrechen an Frauen und um Verbrechen, die Frauen besonders trafen.

Viel Kritik musste Paretsky trotzdem ertragen. Ihren LeserInnen war die Protagonistin zu maskulin, zu besserwisserisch und in ihren kurzen Abenteuern mit Männern zu beliebig. Aber sie war nicht ausschließlich Einzelkämpferin, sondern zeigte die Durchsetzungsstärke von Menschen auf, die sich gegen ein Übel verbünden. Paretzky kämpfte um mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung für den von Frauen geschriebenen Krimi. Sie gründete das Netzwerk „Sisters in Crime“, deren deutsches Äquivalent die „Mörderische Schwestern“ wurden.

Ab den 90ern thematisierten Krimiautorinnen das Privatleben der Ermittlerin, widmeten sich Themen wie Sexismus und Diskriminierung. So zeichneten Tess Gerritsen mit ihrer Protagonistin Abbey, Ärztin wie die Autorin, oder die Kanadierin Joy Fielding in ihren Psychothrillern Abgründe der Gesellschaft auf. Sie wählten Themen wie Vergewaltigung, Psychoterror, Gewalt in der Ehe, Kindesentführung. Die Autorinnen wollten nicht die alte Ordnung wiederherstellen, sondern sie entwickelten die Charakteristika des feministischen Krimi: Ermittelt werden Verbrechen an Frauen, ihre Lebensrealität und Beziehungen untereinander stehen im Mittelpunkt, wobei auch Unterschiede nach Alter, Klasse, Herkunft thematisiert werden.

Mit Autorinnen wie Gillian Flynn (‚Gone Girl‘) und Paula Hawkins (‚Girl on the Train‘) bildete sich ein neues Subgenre ‚Domestic Noir‘ heraus: Es geht um Gewalt und Verbrechen, die Frauen in ihrer engsten Umgebung erfahren. Noch radikaler gestaltete in Frankreich Virginie Despentes ihre Protagonistinnen. Sie treten als Rächerin auf, setzen Gewalt nicht nur zur Erreichung eines legitimen Ziels ein, sondern baden geradezu darin, mit dem Ziel, die (Männer)Welt in Angst und Schrecken zu versetzen.

Kritik

Kritiker warfen die Frage auf, ob dem Anliegen des feministischen Krimis gedient sei, wenn die Heldin vergleichbar dem Verbrecher agiert, Drogen nimmt, wahllosen Sex hat, straffrei tötet. Die schottische Autorin Val McDermid musste sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass ihre Gewaltdarstellungen sadistisch-exzessive Züge annehmen. Gefragt wurde, ob Darstellungen weiblicher Gewalt mit Emanzipation zu tun hätten oder frauenfeindliche Muster der Krimiautoren alter Schule übernommen würden, wenn Frauen gequält, vergewaltigt, ermordet, zerstückelt, ausgeweidet werden? Ist das noch Emanzipation oder werden voyeuristische Gelüste bedient? Und - werden weibliche Figuren nur deshalb Ermittlerinnen, weil sie in der Kindheit missbraucht wurden – wie Stieg Larssons Lisbeth Salander? Jedes Detail des sexuellen Missbrauchs wird beschrieben und die Erwachsene übt Rache. Kann nur diejenige, die ein Trauma in sich trägt und sich für Qual und Missbrauch rächen will, die wahre Ermittlerin sein?

Ein Preis für Romane, die ohne Gewalt an Frauen auskommen

Die britische Drehbuchautorin Bridget Lawless stiftete den Staunch Book Prize für Kriminalromane, die ohne Gewalt an Frauen auskommen. Der Preis löste eine heftige Debatte unter Autorinnen aus. So erklärte Val McDermid: „Solange Männer entsetzliche Gewalt an Frauen und andere misogyne Taten begehen, werde ich darüber schreiben.“

Es darf aber durchaus gefragt werden, ob die Polizistin, die Verbrechen verfolgt, weil es ihr Beruf ist, den sie liebt und die sich nicht rächen will, langweilig ist? Kann nicht auch die feministische Autorin mit Spaß an der Sache schreiben? Und so gibt es bis heute eine literarische Tradition, deren Autorinnen nicht alle radikalen Überzeugungen und Aktionen des Feminismus teilen, jedoch ebenso der Ansicht sind, dass für eine wahre Gleichberechtigung der Frauen die politische und rechtliche Gleichstellung nicht ausreicht, sondern Unterschieden in Herkunft und sozialer Stellung Rechnung zu tragen ist.

So lassen z.B. Elizabeth George, Deborah Crombie, Donna Leon als Hauptkommissare zwar Männer ermitteln (Thomas Lynley, Duncan Kincaid, Guido Brunetti), stellen ihnen jedoch intelligente, toughe, gleichberechtigte Frauen zur Seite. Sie schaffen Spannung durch dichte Atmosphäre und Lokalkolorit, verzichten auf besonders aktionsreiche und blutige Szenen und konfrontieren ihre Figuren vielmehr mit Verstrickungen in realistischen Lebens- und Arbeitswelten, greifen aktuelle Themen auf. Viele der gemäßigt feministischen Autorinnen halten an einer Differenz der Geschlechter fest. Denn wie soll man männliche Vorherrschaft bekämpfen, wenn man keine Binarität zwischen Frau und Mann mehr kennt?

Insgesamt hat sich das Bild der fiktiven Ermittlerinnen heute wesentlich erweitert. Sie arbeiten in verschiedensten Positionen, in allen Hierarchieebenen, mit oder ohne Kind und Mann oder Frau oder in Patchwork-Familie. Die heutigen fiktionalen Heldinnen verfolgen ihre Ziele als empathische Kommissarinnen, sogar als Teilzeit-Ermittlerin wie Bettina Boll von Monika Geier, oder als erfolgreiche Polizeichefin wie Kate Burkholder von Linda Castillo oder autistische Hackerin wie Henrietta Martinez von Ava McCarthy und natürlich Lisbeth Salander von Stieg Larsson, die zugleich in ihrer Rache für Missbrauch eineschillernde Täterin abgibt.

Der deutschsprachige Krimi

Doris Gercke provozierte in den 90ern mit ihrer Serie um die ruppige Ermittlerin Bella Block, die kaltschnäuzig für Gerechtigkeit sorgt, auch mit der Schusswaffe. Das Terrain der Schwabenreporterin Lisa Nerz von Christine Lehmann waren die feministische Redaktion, das Frauengefängnis, die Frauen-Demo zum 8. März, aber auch die Auseinandersetzung über Sprachpolitik, Gender-Mainstreaming oder Frauenhass im Rap. Mit ihrer männlichen Nebenfigur, Oberstaatsanwalt Weber, kehrte sie gängige Rollenmuster um und probierte aus, was passiert, wenn sich Figuren anders verhalten, als man es erwartet. Andererseits bemühte sie sich um Solidarität unter den verschiedenen Gruppen der Frauenbewegung und warf die Frage auf, wie man männliche Vorherrschaft bekämpfen solle, wenn es keine eindeutige Binarität mehr gebe. Die mörderische Schwester Ingrid Noll widmete sich in ihren erfolgreichen Romanen und Kurzgeschichten Frauen unterschiedlichen Alters und aus verschiedenen Gesellschaftsschichten, die sich - nachdem Geduld und Aufopferungsbereitschaft verbraucht sind - auf unkonventionelle Weise ihrer Ehemänner oder Liebhaber entledigen. Nicht ungenannt bleiben als Pionierin des feministischen Krimis darf die leider verstorbene mörderische Schwester Sabine Deitmer, die erste Texte mit anderen Frauen innerhalb der Frauenbewegung im Selbstverlag eröffnete und 1988 mit der Anthologie ‚Bye, Bye Bruno‘ einen großen Erfolg erzielte.

Auf traditionellere Weise, aber gleichwohl mit sozialkritischem Anspruch schickt Nele Neuhaus ihr Ermittler-Team Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein von Bestseller zu Bestseller.

Zoë Beck entwickelt den feministischen Kriminalroman auf andere Weise weiter. Sie verbindet eine aktuelle Handlung mit dystopischen Zukunftselementen, um auf bedenkliche gesellschaftliche Entwicklungen aufmerksam zu machen. Merle Kröger setzt sich in ihren Krimis um die Halb-Inderin Madita mit Rassismus und Ablehnung auseinander. Madita wird unfreiwillig in Verbrechen verwickelt, aus denen sie sich nicht heraushalten kann und denen sie mit Mut und Zivilcourage auf die Spur kommt. Krögers Romane erscheinen bei Ariadne, der seit 1988 existierenden politischen Frauenkrimi-Reihe des Argument Verlags - gegründet von Frigga Haug, fortgeführt von Marion Laudan, der Gründerin des ‚Netzwerkes für feministische Krimiliteratur HerLand‘. Der Argument Verlag präsentiert starke Frauen mit sozialkritischem Biss und verlegt heute deutschsprachige Autorinnen wie Monika Geier, Christine Lehmann, Dagmar Scharsich, Merle Kröger, Anne Goldmann, aber auch die Pionierinnen des feministischen Krimis wie Sara Paretsky, Liza Cody, Pieke Biermann sowie weitere, ins Genre passende ausländische Autorinnen.

Ein umfassendes Bild über die Entwicklung des feministischen Kriminalromans gibt die ‚Studie Sisters in Crime‘ der amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Maureen Reddy von 1988, erschienen auf Deutsch unter dem Titel ‚Detektivinnen‘ (Guthmann und Peterson Verlag 1990).

Zeitnäher befasste sich Claudia Thieler mit dem ‚feministischen Kriminalroman‘ (Studienarbeit 2006, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Institut für Deutsche Philologie, als Download lieferbar).

 

 

© Susanne Rüster