A Cozy Crime is a Mystery to Me oder Cozy Crime ist mir (k)ein Rätsel

von Fenna Williams

Cozy Crime ist für mich Mystery. Nein, kein Buch mit 7 Siegeln und auch kein unlösbares Rätsel. Cozy ist schlicht der nordamerikanische Begriff für ein Krimigenre, welches in britischen Landen mit Mystery Crime betitelt wird – also Kriminalromane von Agatha Christie (damals) bis Anthony Horowitz (heute). Der Ausdruck wurde zum ersten mal verwendet als man im späten 20. Jahrhundert begann, die Golden Age of Detective Fiction, aufleben zu lassen, in dem man wieder das Rätsel um einen Tod oder ein Verbrechen in den Mittelpunkt stellte.

Damit wäre alles klar – wenn es in deutschsprachigen Landen nicht diese heillose Begriffsverwirrung gäbe, die wir auch von anderen »freundlichen« Übernahmen aus dem Englischen kennen. Schließlich gibt es weder in den USA noch in GB ein Handy oder einen Dressman. Public Viewing bezeichnet in Nordamerika die Aufbahrung eines Leichnams, während es bei uns eine Veranstaltung meint, bei der alle vor einer riesigen Leinwand hocken, vorzugsweise im Freien, begleitet von Bier und Begeisterungsstürmen.

Würden wir das Ambiente einer amerikanischen Trauerfeier mit unseren Bierfestfreuden verbinden, und wären die Umstände des Todes des selig Verblichenen dabei nicht eindeutig geklärt, säßen wir schon mitten in einem Cozy Crime.

Halten wir also fest: Das Wort Mystery bezeichnet Kriminalliteratur jenseits des Thrillers und wurde auch in Deutsch zunächst so verwendet. Die hiesige Verschiebung des Begriffs zu einem eigenen, eher übernatürlichen Genre kann recht genau datiert werden: Auf den Start der TV-Serie Akte X, die vom Fernsehsender als Mystery angekündigt wurde. Dadurch wurde allen folgenden Filmen und Büchern dieser Art, von  Lost bis zu The Sixth Sense der Stempel des mysteriösen aufgedrückt, wohl in der Annahme, dass mysteriös und mystery dasselbe meinen: ein übersinnliches, oft auch okkultes Geschehen. In der englischen Sprache würde man dazu allerdings paranormal sagen und die Bücher als dark fantasy und supernatural drama bezeichnen.

Mystery stories  definieren sich hingegen als Geschichten, in denen Verbrecher überführt werden. Das geschieht durch die Aufdeckung eines Geheimnisses, dem Finden von Beweisen und der Verfolgung von Hinweisen bis zur endgültigen Lösung, die alle Fragen beantwortet, alle Fäden verbindet. Genau das also, was in einem gut geschriebenen Kriminalroman passiert, ohne dass explizite Gewaltszenen stattfinden oder Leid voyeuristisch beschrieben wird.

Diese Art von Krimis, Mysteries also, erfreuen sich im deutschsprachigen Raum großen Interesses während ein Cozy oft mit einem Lächeln bedacht wird – obwohl es streng genommen ein Synonym ist. Vielleicht führte das niedliche Wort cozy selbst, was von Plausch bis zu »Kaffee- oder Teewärmer« so einiges bedeuten kann, zu Übersetzungen wie Häkelkrimi oder Landhauskrimi und dem Urteil, dass man es nicht nur mit einem Unter-Gerne, sondern mit einem unterirdischen Genre zu tun hat. Diese Wertung, die es ebenfalls im englischsprachigen Raum nicht gibt, schaufelte schaufelte bei uns Gräben, in die wir nicht gefallen wären, hätten nachlässige AutorInnen und hochnäsige RezensentInnen den Bagger gar nicht erst bestellt. Mit anderen Worten: Beim schreiben von Kriminalromanen sollte stets die nötige Sorgfalt walten, die dem gedruckten Wort zukommt. Ein Cozy braucht Handwerk – deshalb sind sie weltweit die cash cows der Verlage, die den steten Strom des Verdienstes einspülen und Verlage existieren lassen, die nichts anderes im Programm führen.

Um deutlich zu machen, um was es bei Cozy Mystery (um die Worte mal zu einem zu verpflechten) lege ich hier die Liste vor, die ich mir aus meinen Seminaren zu Creative Writing und Cozy Crime in Seattle zusammengestellt habe:

  • Der Cozy oder Mystery-Krimi besitzt eine dichte Atmosphäre und Lokalkolorit.
  • Wichtig ist nicht die explizite Darstellung des Mordes, sondern die menschlichen Beweggründe des Tötens und der Wiederherstellung einer Ordnung, die zwar nicht wie vor dem Verbrechen sein kann, aber erklärt, warum am Ende alle mit dem Ergebnis weiterleben können.
  • Häufig hat der Mord oder das Verbrechen bereits stattgefunden oder der Tod kommt schnell und ohne das Opfer zur Schau zu stellen. Es wird nicht gefoltert.
  • Die Spannung besteht weniger aus aktionsreichen Szenen, als vielmehr aus den auszulotenden Tiefen der handelnden Figuren, deren Verstrickungen innerhalb authentischer Lebens- und Arbeitswelten, gepaart mit interessanten, aktuellen Themen, abseits der Kolportage und des Klischees.
  • Augenmerk liegt auf der Erklärung, warum die eine Person Opfer wurde und der andere Täter.
  • Die Geschichte muss möglichst in jedem Kapitel durch einen überraschenden Twist eine neue Richtung bekommen.
  • Jedes Kapitel sollte mit einem guten, versteckten Hinweis/einem Clue versehen sein, so, als würde man einem Puzzle ein Teil hinzufügen bis kurz vor Ende das ganze Bild sichtbar wird.
  • Das Ende eines jeden Kapitels sollte durch einen Cliffhanger zum Weiterlesen antreiben.
  • Cozies nehmen sich Zeit für den Plot und die Charakterentwicklung – und zwar bis in die kleinste Nebenfigur.
  • Es gibt einen oder mehrere Subplots, die durch Red Herrings, also falsche Fährten, mit dem Gesamtgeschehen verwoben werden, dadurch zur Spannung beitragen und die Hauptgeschichte im besten Falle spiegeln, erklären und komplettieren.
  • Verstand und die Arbeit des Hirns der handelnden Figuren ersetzen Muskelkraft und den Einsatz von Gewalt.
  • Im Cosy regiert Fair Play. Alle Hinweise werden so gestreut, dass die Leserschaft gemeinsam mit der Amateurdetektivin den Fall lösen kann. Man kommt nicht mit einer Fee oder Kommissar Zufall daher, um das Rätsel der Geschichte zu lösen.
  • Witzige, spritzige Dialoge, Situationskomik und skurrile Persönlichkeiten sind erwünscht, aber Cosy Crime heißt nicht, dass man sich über Opfer oder Täter kaputtlacht. Dadurch würden nicht nur die handelnden Figuren, sondern auch die AutorIn selbst beschädigt.

Warum sind Mysteries oder Cozies so beliebt? Weil sie eine gewaltige Bandbreite von Themen abdecken und ganz normale Menschen in den Mittelpunkt stellen. Menschen, die eine Aufgabe lösen, die ihnen Angst macht, die sie bedroht, aber in der sie sich bewähren. Cozies machen Mut über sich hinaus zugehen, obwohl man Durchschnitt ist, ständig Fehler macht und sich vor der Aufgabe am liebsten drücken würde.

Cozy Crime ist emanzipiert. Die AufklärerInnen sind in erster Linie Frauen, amateur sleuth, also Amateurermittlerin, genannt. Fast immer hat diese Amateurermittlerin studiert oder einen Beruf, den sie mit Leidenschaft ausübt. Sie besitzt durch ihre Erfahrung bestimmtes Wissen und Eigenschaften, durch die sie der Polizei den Rang ablaufen kann – wenn sie auch normalerweise klug genug ist, mit dem »offiziellen Personal« zusammenzuarbeiten oder sich der Polizei für ihre Zwecke zu bedienen.

Ich habe mal in meinem Bücherschrank, den ich in vielen Umzugskisten aus meiner Studienzeit in Seattle mitgebracht habe, nachgeschlagen, welche Berufe die Frauen hatten: Bed&Breakfast-Besitzerin, Köchin, Tierheimleiterin, Nonne, Gärtnerin, Buchhändlerin, Bibliothekarin, Köchin, Floristin, Hundetrainerin, Lehrerin, Hausmeisterin – jedenfalls sind die Ermittlerinnen all das, wenn sie nicht gerade anderen helfen, in dem sie ein Verbrechen aufklären.

Meine eigene Amateurermittlerin heißt Pippa Bolle, hat Berliner Schnauze und eine englische Mutter. Sie ist Übersetzerin und Haushüterin – was mir die Möglichkeit gibt, sie in jeden Winkel Europas zu schicken, dort längere Zeit zubringen zu lassen und sich trotzdem verständigen zu können. Mehr Spaß kann man beim Schreiben gar nicht haben!

Es muss nicht sein, aber in den allermeisten Fällen findet das Leben im Cozy in einer Kleinstadt oder einem Dorf oder gar in einem abgeschlossenen Landhaus statt. Einsame Inseln sind ebenfalls hochwillkommen; Schneestürme um einsame Cottages oder Hütten sind die Weihnachts- oder Wintervariante. In jedem Fall wird es besonders spannend, wenn die Leserschaft tief in den Tatort einbezogen wird, indem er oder sie sich als Teil des Ganzen fühlt und dort für die Dauer des Buches Urlaub machen darf.

Im englischsprachigen Raum hält man Leser und Leserinnen von Mysteries für modern, intelligent, in der Lage ihr Leben zu meistern und immer bereit – sozusagen auf Augenhöhe – mit der Amateurdetektivin den Fall zu lösen, quasi als gute Freundin und helfende Hand.

Ich bin sicher, dass ist in unseren Breiten genauso, deshalb sollten wir AutorInnen unseren Lesern und Leserinnen servieren, wonach sie suchen: hochkarätige Unterhaltung und funktionierende Geschichten mit emotionalem Tiefgang.

Dafür ist es völlig gleichgültig wie das Genre tatsächlich genannt wird. Hauptsache es beweist mit jedem guten Buch: Wir sind Agatha Christies Erben!