Ist doch Werbung! Wie man die Arbeit der anderen für sich nutzt, ohne dafür zu bezahlen.
Über ein unmoralisches Angebot, Luftmöhren und warum vor Audible ein KL stehen sollte.
Nina Georges offener Brief an Lufthansa und Audible mit einem Vorwort von Janet Clark
(Foto: Astrid Purkert)
Ist doch Werbung!
Diesen Spruch haben die meisten Kulturschaffenden schon gehört. Zumeist, wenn es darum geht, ihre Werke zu nutzen, ohne sie dafür (angemessen) zu bezahlen.
Wenn sie als Lesende auftreten sollen und ihr Lohn (inklusive Spesen) sich auf den Verkauf ihrer Bücher beschränkt, die sie davor bei ihrem Verlag gegen real-montäres Entgelt beziehen müssen.
Wenn ihre Bücher in Piratenportalen von zigtausenden Lesern kostenlos heruntergeladen oder in Flatrates verramscht werden. Wenn Bilder, Filme und Musikvideos unerlaubt kopiert und verbreitet werden - in der Regel so, dass die kostenlose Verbreitung vor allem einem dient: dem illegal und kostenlos Verbreitenden.
Das ist alles Werbung.
Warum? (fragt naiv der Kulturschaffende)
Na, weil die Leute, die sich das Buch, die Musik oder den Film für lau oder fast lau geholt haben, dafür niemals den realen Preis gezahlt hätten. Ist doch nicht so schwer zu verstehen, oder?
Doch. Ist es. Denn solange meine Arbeit nur dann Beachtung findet, wenn ich sie verschenke, habe ich dann nicht ein Problem?
Wertigkeit kommt von Wert. Leser wissen das und sind durchaus bereit, einen korrekten Preis für Werke zu zahlen, die zu wertvoll sind, um verramscht zu werden. Bei den anderen dagegen warten sie auf das nächste Billigangebot.
Für den sich selbstausbeutenden Kulturschaffenden geht die Rechnung mit der Null also (zumeist) nicht auf.
Sehr wohl aber für diejenigen, die mit der Werbemöhre winken und sie ab und an sogar noch in einen Alibigeldschein einwickeln. So wie eben geschehen bei meiner geschätzten Kollegin und Mörderischen Schwester, der internationalen Bestsellerautorin Nina George.
Doch lassen wir Nina für sich selbst sprechen. Sie hat mir erlaubt, ihren offenen Brief an Lufthansa und Audible hier einzustellen.
Nina Georges offener Brief an Lufthansa und Audible
(Foto: Nina George)
Liebe Lufthansa, liebes Amazon-Audible,
Ihr habt mir gestern erst einen Lach- dann einen mittelgroßen Wutanfall beschert.
Das kommt, zugegeben, in der Kombination selten vor.
Ich rege mich im Prinzip schon lange nicht mehr auf; wer sich ehrenamtlich in der politischen Arbeit für Autoren- und Autorinnen engagiert, läuft bei der Vielfalt an kleineren und größeren Absurditäten sonst Gefahr, mit einem ständigen Adrenalin-Überschuss herum zu hecheln, komplizierte Folgekrankheiten zu entwickeln und sich nicht mehr auf seine Romane konzentrieren zu können. Und selbst die verständigste Krankenkasse, Verlegerin und/oder Ehepartner hätten dafür eines Tages keine Geduld mehr.
Wie auch immer, ihr habt es heute geschafft. Glückwunsch. Oder vielleicht auch nicht. Auslöser war Euer Angebot, wie es vermutlich hundertfach in den letzten Monaten an Verlage und ihre Autorinnen gegangen ist. Es lautet:
Audible möchte diesen Titel gerne Lufthansa für das Bord-Entertainment-Programm anbieten. Dabei handelt es sich um eine reine Marketingkooperation, keine Lizenz, für die Audible von Lufthansa honoriert werden würde.
Audible ist seit 2016 Kooperationspartner der Lufthansa. Mit ca. 70 Millionen Passagieren im Jahr bietet die Lufthansa ein riesiges Potenzial, Titel und Autoren bekannt zu machen und einer großen Hörerschaft zu präsentieren. Durch kommunikative Maßnahmen weist Lufthansa seine Kunden natürlich auf das Entertainment-System und seine Inhalte hin. Die Einbindung in das Bord-Entertainment-System bietet damit eine tolle Möglichkeit für den Erstkontakt mit dem Medium Hörbuch. Wir glauben daher, dass sich die enorme Präsenz und Reichweite, die wir durch die Kooperation für die Titel schaffen, positiv auf die Verkäufe bei uns auswirken wird. Aktionszeitraum 01.11.2017 – 30.04.2018. Da der Titel von den Passagieren zwar nicht dauerhaft erworben werden kann, aber in voller Länge abspielbar ist, bietet Audible eine Marketingvergütung an. Diese orientiert sich an den Lizenzerlösen in einem vergleichbaren Zeitraum zur Marketingaktion. Für Nina George entspricht das einer Vergütung von 150 Euro (pauschal).
Liebe Lufthansa, liebes Audible, Sie haben es vermutlich schon mitbekommen, dass meine Antwort: „Nein, danke“ lautete. Aber eins muss ich jetzt schon mal fragen:
Haben Sie eigentlich noch alle Propeller in der Düse?
Sie beide wollen also Kulturwerke in dem Lufthansa-Bordservice sechs Monate lang, für in dieser Zeit rund 35 Millionen Passagiere anbieten (Gut, nehmen wir mal „nur“ alle deutschsprachigen, bleiben „nur“ noch einige Millionen), aber nicht dafür zahlen. Sie argumentieren dies konzertant mit „Erstkontakt mit dem Medium Hörbuch“ und „enormer Reichweite“. Und behaupten dann noch, es handele sich sowieso nicht um eine Lizenz?
Interessante, aber leider unzutreffende Sichtweise. Ich erläutere Ihnen gerne meine Sicht: Sie, und das gilt für Lufthansa genauso wie für den Lizenznehmer Audible, sind per Gesetz verpflichtet, mir für jede Nutzung meines Werkes eine faire Vergütung zu zahlen. Sie sind außerdem verpflichtet, diese Nutzung nachzuweisen und transparent auf Abruf zu dokumentieren. Sie kommen, auch wenn sich Ihre Juristen und Juristinnen schon auf eine spitzfindige Auseinandersetzung freuten, nicht mit der Behauptung aus diesen Verpflichtungen heraus, es handele sich ha, ha, bei dieser wenig verheimlichten und gezielten Massennutzung gar nicht um eine Lizenz. Ach was! Wir schreiben einfach „Promo“ drauf und fertig! Und dann ballern wir sechs Monate aus allen Klinkensteckeranschlüssen, 35 Millionen Passagiere, Mann, die George müsste UNS was zahlen für diese Reichweite!
Ja, auf dieses Argument warte ich eigentlich noch. In Piratenkreisen hat sich das längst etabliert, dass illegaler Download doch voll die Promo ist und wir Autorinnen happy … egal.
@Audible. Ihre Behauptung, dass ich mittelfristig profitieren würde (Wir glauben daher, dass sich die enorme Präsenz und Reichweite … positiv auf die Verkäufe bei uns auswirken wird), in dem ganz bestimmt zum Beispiel all jene, die auf der Langstrecke Hamburg-San Fransisco mein Buch hören, im Nachhinein für eine Verkaufsexplosion im Hörbuch- und Buchhandel (bei Amazon, by the way?) sorgen, ist, höflich gesagt, als „Möhrenreligion“ zu bezeichnen: Mit der Lockrübe „Ist doch Werbung für Dich!“ werden bereits tausende Autorinnen und/oder Verlage an der Nase herum geführt, und ihre Leistungen gratis genutzt, ohne dass sich für den Autoren und die Autorin im Nachhinein ein messbarer und auf diese oder ähnliche „Promo-Aktionen“ hin nachweisbarer monetärer Zuwachs feststellen lässt.
@Lufthansa: Was Sie vorhaben, das ist keine Werbung. Werbung ist, wenn Sie alle Boeings nach New York mit meinem Cover verzieren. Schön in lila, wäre doch nett. Was sie aber vorhaben, ist Nutzung. Und das bekommen Sie nicht umsonst, mehr noch: Sie sollten sich schämen, dass Sie die Arbeit der Autorinnen und Autoren umsonst haben wollen.
Ja, schämen: Sie bieten Hörbücher in Ihrem Service an wie Tomatensaft und Kaffeekeks. Ist das Werbung für Granini? Nicht? Müssen Sie den Saft etwa nicht bezahlen? Was hat der Saft, was ich nicht habe? Wohl keinen Partner wie Audible, der Ihnen solche Un-Angebote macht?
Und, liebes Audible: das mag sich für Dich ja in der Masse und im Image lohnen, Audible macht’s möglich, was auf die Ohren über den Wolken, hu, sexy, modern, ja, ja – aber Du willst dieses Image auf meine Kosten. Auf meine und auf all die jener Kolleginnen und Kollegen, die sich auf diese halbgare Promo-keine-Lizenz-150-Euro-Illusion einlassen, und deren Werke dann hundert-, tausendfach genutzt werden, und sie nichts dafür erhalten.
Wissen Sie, was mich dabei außerdem aufregt? Sie beide, Sie sind nicht die ersten. Nicht die letzten, die die Arbeit von Autorinnen und Autoren, kaum das deren Werke digitalisiert sind, nutzen ohne anständig zu vergüten. 0-Euro-Aktionen. Leihmodelle- Ist-doch-Werbung. Paid Piracy. E-Books in bestimmten Zuglinien im „kostenlosem Mediapaket“. Die Leistung wird geliebt. Aber nicht die, die sie erbringen, die sollen mit Luftmöhren satt werden.
A propos Luftmöhre: Nach dieser Ist-doch-Werbung!-Logik, liebe Lufthansa, müssten Sie mir ein halbes Jahr lang Freiflüge ohne Limit gewähren, die ich meinen, na, seien wir großzügig, meinen 1500 Facebookfreundinnen überlasse. Oder meinen 1,5 Millionen LeserInnen weltweit. So oft, so weit diese wollen. Das ist DIE Chance für Sie! Ich meine – eine tolle Möglichkeit für den Erstkontakt mit dem Medium Flugzeug! Ich kann Ihnen 5 Euro dafür anbieten. Weil: Ist doch Werbung – und keine Nutzung. Oder, etwa doch?
Ach, und eine letzte Frage, liebe Lufthansa, liebes Audible: Wer von Ihnen zahlt eigentlich VG Wort-Geräteabgaben für diese Angebote der ständigen Vervielfältigung im luftigen Raum? Streaming ist das nicht, oder gibt’s inzwischen WLAN über den Wolken? Keine Sorge. Ich kümmere mich gern darum.
Ihre Nina George
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AutorInnen kämpfen für einen fairen Buchmarkt
Autoren und Autorinnen prangern in einem offenen Brief die derzeitge Geschäftspolitik Amazons an
Die Mörderischen Schwestern schließen sich der Initiative des Syndikats an und unterzeichen als Verband und mit vielen Einzelunterschriften den offenen Brief an Amazon.
Die Syndikatsmitglieder Nina George, Angela Esser, Regula Venske und Hans-Peter Röntgen initierten Anfang August 2014 eine Reaktion der deutschen AutorInnen auf die derzeitigen Praktiken des Online-Riesen Amazons im Rabatt-Kampf mit der Bonnier Gruppe. Im Rahmen dieses Kampfes wurden die Bücher der betroffenen Verlage nicht oder nur mit erheblichen Verzögerungen ausgeliefert. Darüberhinaus wurden Bücher der betroffenen Verlage aus den angeblich neutralen Kundenempfehlungslisten (Kunden kauften auch ...) entfernt.
Mit dieser Aktion folgten die Initiatoren dem Beispiel der amerikanischen Kollegen und konnten inzwischen mehr als 2000 AutorInnen für die Aktion gewinnen.
Die Aktion erregte große mediale Aufmerksamkeit und fachte die Diskussion um die Wandlung des Buchmarktes neu an. Weiterführende Aktionen und Diskussionen fanden auf der Frankfurter Buchmesse an.
Mehr Informationen finden Sie auf der Starteseite der Webseite fairer Buchmarkt und in den dortigen Rubriken:
Berichterstattung in der Presse
Interview mit Wolfgang Thierse
Internationale Berichterstattung