Abenteuer Lesefestival
Pleiten, Pech und Phänomenales
von Sybille Baecker
Kulturnacht, Büchertage, Literaturwochen – national und international finden regelmäßig wiederkehrende Lese- und Kulturfestivals statt, die zahlreiche Buchinteressierte anlocken und ihnen ein breites Spektrum von Autor:innen näherbringen. Neben gigantischen Literaturfestivals wie „Leipzig liest“, das sich über mehrere Tage als Rahmenprogramm zur Leipziger Buchmesse mit hunderten Veranstaltungen präsentiert, gibt es zahlreiche kleinere Formate bundesweit in vielen Städten, die häufig unter einem bestimmten Thema oder Genre laufen.

Wie kommt man als Autor:in ins Veranstaltungsprogramm?
Manch ein Lesungsgast mag sich fragen, nach welchen Kriterien die Auswahl der Autor:innen von den Veranstalter:innen erfolgt. Der einstimmige Tenor der Veranstalter:innen, mit denen ich sprach: Genre, Thema und Aktualität sind wichtige Auswahlkriterien. Außerdem sollten Autor:in und Buch zum Festival passen. Aber es muss nicht immer ein Bestseller sein, denn ein Festival lebt von der Vielfalt, die der Buchmarkt zu bieten hat.
„Das Programm soll ausgewogen sein, sodass für jeden etwas dabei ist“, sagt Peter Peterknecht, Geschäftsführer der Buchhandlung Peterknecht in Erfurt. Bei der Auswahl der Autor:innen für die jährlich stattfindenden Kinderbuchtage und das Krimifestival (www.kinderbuchtage.de | www.krimifestival-erfurt.de) stehen zwar immer große Namen im Programm, aber auch weniger bekannte Autor:innen bekommen in Erfurt eine Chance.
Für Felix Schmidt, u.a. Veranstalter der Crime-Cruise (www.crime-cruise.de) und von Krimi-Flusskreuzfahrten, ist der Bekanntheitsgrad ebenfalls nicht das ausschlaggebende Kriterium. Er erhält zahlreiche Bewerbungen, sucht aber ebenso selbst nach passenden Autor:innen. „Abgesehen von Kriterien wie Regionalität, Aktualität und Individualität, muss es auch menschlich passen“, sagt er. Das Crime-Cruise-Team ist schließlich sieben Tage gemeinsam auf See.
Bei regionalen und städtischen Kulturnächten legen Organisator:innen häufig viel Wert darauf, die Künstler:innen aus der Region zu fördern und ihnen eine Bühne zu geben.
Ich bin mittlerweile seit 20 Jahren mit meinen Krimis und Lesungen unterwegs. Und ich liebe es, sowohl bei Einzelveranstaltungen als auch bei Festivals aufzutreten und mit meinen Leser:innen in Kontakt zu kommen. Jede Veranstaltung ist einzigartig. Nicht immer ist alles optimal, manchmal gibt es Pleiten, aber da muss Autorin flexibel sein und hinterher hat man etwas zu erzählen ...
Gute Nacht: Achtung Privatunterkunft
Nicht jedes Festival findet direkt vor der Haustür statt, und so ist manchmal eine Übernachtung notwendig, die natürlich mit Kosten verbunden ist. Nicht nur einmal wurde ich von Veranstaltern gefragt, ob es für mich okay wäre, wenn man mich in einer Privatunterkunft unterbringen würde. Einmal habe ich dem zugestimmt und fand mich bei Freunden des Veranstalters im Waschkeller wieder, der mithilfe eines alten Jugendbettes (immerhin keine Matratze am Boden …) zu einem Gästezimmer umfunktioniert worden war. Das liebevoll zubereitete Frühstück am nächsten Morgen entschädigte dafür.
Die Location I: Frieren im Verlies
Ein besonderer Reiz an Festivals ist, dass Lesungen häufig an außergewöhnlichen Orten stattfinden. Es schadet jedoch nicht, sich vor der Veranstaltung über diesen Ort zu informieren. So durfte ich vor einigen Jahren eine Lesung in einem Museum halten. Museen bieten eine interessante Kulisse, sind meist geräumig, vielleicht verwinkelt, aber vor allem: geheizt. Dachte ich …
Es war ein eisig-kalter Frühlingsabend, an dem ich die Location erreichte und erstarrte: Das Museum war eine unbeheizte, zugige Scheune. Stimmungsvolles Ambiente, aber rattenkalt. Ich behielt den ganzen Abend meine Winterjacke an.
Die Location II: Umsonst und draußen
Open-Air Veranstaltungen haben ihren ganz besonderen Charme. Allerdings ist es immer ein Glücksspiel, ob es eine großartige Sommernacht wird, oder man am Abend allein im Regen steht. Als Autor:in sollte man auf alles gefasst sein.
Auch die Umgebung nimmt Einfluss auf das Event. So durfte ich einmal auf einem Platz nahe einer vielbefahrenen Ampelkreuzung lesen. Eine Herausforderung für die Konzentration auf Seiten der Vortragenden und der Gäste, wenn vor der roten Ampel ein Auto steht, aus dessen Innerem das Wummern eines Basses dröhnt und kleine Kinder spielend vor der Bühne hin- und herspringen …
Pech: Leere Reihen – Konkurrenzprogramm
Bei Lese- und Kulturfestivals ist das Programmheft prall gefüllt mit zahlreichen Veranstaltungen, die zum Teil zeitgleich stattfinden. Das Publikum hat die Qual der Wahl.
Für uns Autor:innen bedeutet das: Wir buhlen um die Gunst der Gäste in Konkurrenz zu vielen anderen Veranstaltungen. Und leider haben wir in der Regel keinen oder kaum Einfluss auf die Programmplanung. Da kann es vorkommen, dass die eigene Veranstaltung parallel zur Lesung der Bestsellerautorin, die im selben Genre schreibt, geplant ist und dadurch die eigenen Reihen leer bleiben. Die Folge: Frust auf allen Seiten.
Felix Schmidt plant das Programm der Crime-Cruise so, dass die Gäste an Bord sich nicht zwischen zwei Lesungen entscheiden müssen und zwischendurch ausreichend Zeit bleibt, frische Seeluft zu genießen. Auch Peter Peterknecht plant grundsätzlich keine parallel laufenden Lesungen während eines Festivals. „Es soll Werbung für das Buch, den Buchhandel und das Genre sein. Mit leeren Sälen ist niemandem gedient“, erklärt er.
Phantastisches: seekrank, aber glücklich
Eines der großartigsten Festivals, bei dem ich bislang als Autorin dabei sein durfte, ist zweifelsohne die Crime-Cruise auf dem Nordaltantik. Als ich die Anfrage bekam, ob ich bei der ersten Crime-Cruise mitfahren wolle, musste ich nicht lange überlegen. Die Idee klang spannend: eine Woche mit einer Fähre über den Nordatlantik fahren – mit täglich wechselndem Krimi-Festivalprogramm vor grandioser Naturkulisse. Die Location für dieses außergewöhnliche Festival ist die Versorgerfähre MS Norröna, die zwischen Dänemark, Färöer-Inseln und Island pendelt. Nordatlantik im November? Ja, es kann stürmisch werden – wurde es zwischendurch auch. Und natürlich wurde ich seekrank. Für meine erste Veranstaltung erarbeitete ich eilig mit einem Kollegen einen Notfallplan, der glücklicherweise nicht zum Einsatz kam. Das Adrenalin vor der Lesung verscheuchte die Übelkeit.
Improvisation war auch bei meiner zweiten Crime-Cruise-Tour gefragt: Als aufgrund stürmischer See ein Landgang ausfiel, organisierten wir kurzerhand eine Mini-Ladies-Crime-Night, um die Gäste vom hohen Seegang abzulenken. Es war bisher mein einziges Mal, dass während meiner Lesung Tisch und Stuhl mit mir auf Wanderschaft gingen …


Über den Tellerrand: Internationale Krimifestivals
Wer Krimis mag und gerne reist, wird auch im Ausland fündig, denn nicht nur in Deutschland gibt es großartige Krimifestivals, auch in anderen Ländern sind Spannungsromane beliebt. In Großbritannien warten gleich mehrere Festivals auf, wie beispielsweise das „Crime Fiction“ in Oxford, „Shetland Noir“ auf der gleichnamigen schottischen Insel oder „Bloody Scotland“ in Stirling.
„Bloody Scotland“ besuchte ich 2024 als Gast gemeinsam mit meiner Autorenkollegin Carola Christiansen. Für mich als Autorin war es sehr entspannend und spannend zugleich, internationale Kolleg:innen auf der Bühne zu erleben, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und zu erfahren, wie die Arbeit und das Leben von Autor:innen in anderen Ländern aussieht. Für Carola und mich waren nicht nur die Zusammenkünfte mit Kolleg:innen ein besonderes Highlight, ein Gespräch mit den Bibliothekarinnen der Stirling Library führte dazu, dass seither zwei deutschsprachige Krimis mehr in der Ausleihe verfügbar sind: „Mord auf den Färöer“ und „Vermisst in den Highlands“ – falls jemand vor Ort mal in der Bücherei ein bisschen schmökern möchte ...
Fazit: Festivals sind eine große Bereicherung im Kulturbetrieb. Sie erfordern von Autor:innen manchmal Improvisation und Flexibilität, bieten aber auch die Chance, an außergewöhnlichen Orten zu lesen und sich in der Fremde ein neues Publikum zu erschließen. Und für Leserinnen und Leser ist es die Chance, neue großartige Autor:innen zu entdecken, auch mal abseits der Bestsellerlisten.