Autorenausbildung der Montségur Akademie - ein (Test-)Bericht
Ausbildung für Autoren
Entweder man kann schreiben oder man kann es nicht. Das ist die Einstellung einiger Schriftsteller. Ich habe früher Malkurse gegeben, Zeichnen auf Seide. Und ich meine damit nicht Farbgitter ausmalen, die vorher mit dem Gummizeugs, Gutta, abgegrenzt wurden, ich meine zeichnen! Die Leute staunten, denn ich begann den Kurs mit Lockerungsübungen, Wassertechniken auf Aquarell, Perspektive. Die Teilnehmer wurden ungeduldig ... Später haben sie begriffen, warum. Technik ist der Untergrund jeglichen Zeichnens. Stil und Talent machen dann die Persönlichkeit aus.
Was hat Zeichnen mit Schreiben zu tun? Manch einer hat einen Plan beim Schreiben, grob oder fein, ein anderer schreibt aus dem Bauch heraus. Letzterer kann sich schnell verzetteln. Früher war ich ein Grobplaner, heute ein Feinplaner, für meine Figuren habe ich seit dem ersten Roman einen Lebenslauf geplant, von Geburt an. Es hat mir nie gereicht, nach Datenbanken (Größe, Haarfarbe, Kleidung …) zu arbeiten. Gut, ich habe mein gesamtes Berufsleben mit schwierigen Menschen gearbeitet, kenne psychische Abgründe, Misshandlungen, Krankheiten, weiß, wie das Leben einen Menschen verändert. Und ich bin mir sicher, wenn ich eine Figur glaubhaft darstellen will, muss ich sie durchweg kennen, verstehen. Ich habe Sol Stein gelesen, »Über das Schreiben« und auch zwei Bücher über das Drehbuchschreiben: »Das Drehbuch« von C.P. Hant und »Vom Buch zum Drehbuch« von Linda Seger. Warum Drehbuch? Hier habe ich im Prinzip gefunden, was ich suchte: Wie schärfe ich einen Plot? Ich schaute neidisch auf die Angelsachsen, die Studiengänge zum Creative Writing anbieten. Ich suchte nach Kursen im deutschsprachigem Raum, die mir jedoch nicht zusagten. Und eines Tages bot die «Montségur Akademie« etwas an, das meine Augen aufleuchten ließ: Professionelle Ausbildung über zwei Jahre, von der Entwicklung und Analyse der Figuren, über die Strukturierung, die Dramaturgie, der stilistischen und sprachlichen Ausarbeitung für Autorinnen und Autoren mit professionellem Anspruch. Ich bewarb mich mit meinem Romanprojekt, Beschreibung und Textprobe und einer Textaufgabe. Im Dezember erhielt ich die Zusage und begann im Januar 2017.
Da saßen wir nun zusammen, 8 Autoren*innen. Warum werden so wenig Teilnehmer*innen aufgenommen? Die Arbeit der Dozenten ist nicht mit den WE-Seminaren beendet, sondern sie betreuen uns intensiv in der Zwischenzeit. Dazu später. Sieben Frauen, ein Mann, zwei Liebesgeschichten, ein Roadmovie, dreimal historischer Backgrund, ein Thriller, einmal Fantasy, ein klassischer literarisch-musikalischer Hintergund, eine Lebensgeschichte, ein Drama, aus den Genren Gesellschaftsroman, historischer Roman, Jugendliteratur, All-Age, Crime, eine bunte Mischung fand sich zusammen, einige hatten bereits Bücher veröffentlicht. Es sei gleich vorweggesagt, jeder der Teilnehmer, kann gut schreiben! Aber jeder war der Überzeugung, dass man nie genug wissen kann, und Handwerk ausgesprochen hilfreich ist. Das erste Modul ist nun abgeschlossen, hier mein Bericht.
Figuren & Psychologie – Dozentin: Bettina Wüst
Beschreibung der Inhalte: »Psychologie ist an Filmhochschulen und in literarischen Studiengängen ein wichtiges Fach, sie ist essenzielle Grundlage des Schreibens. Im ersten Modul der Ausbildung folgen wir diesem Leitgedanken und erarbeiten die Tiefenstruktur der Figuren innerhalb ihrer Romanwelt. Basis dafür sind die Methoden der Transaktionsanalyse, einem psychologischen Erklärungsmodell für komplexe menschliche Verhaltensweisen. Ziel dieses Moduls ist es, ein profundes Figurenprofil sowie einen authentischen Figuren-Entwicklungsbogen zu erstellen. Die Wesenszüge der Figuren sowie ihre backstory werden psychologisch stimmig, von ihrem Verhalten bis hin zu ihrer Körpersprache und ihrer Ausdrucksweise erarbeitet.
… So erkunden die Autoren unter anderem, unter welchem Imperativ ihre Figuren agieren, welche Grundannahmen die Figur über sich selbst und andere hat und durch welche Brille sie die Welt sieht. Eines der Seminare widmet sich ausschließlich dem Konfliktverhalten der Figuren. Welche Lieblingspositionen nimmt die Figur im Drama-Dreieck ein: Opfer, Verfolger oder Retter? Zu welchen Spielen greift sie, bewusst (Manipulation) oder unbewusst (Psychologisches Spiel) in Konfliktsituationen? Welche Dynamiken ergeben sich in Beziehungen mit anderen Romanfiguren? Wie äußern sich Ersatzgefühle der Figur und wieso verhält sie sich so? Zum Ende des vollständigen Modules wissen die Teilnehmer alles Notwendige über ihre Figuren und wie diese innerhalb der Romanwelt agieren. Sie kennen die frühkindlichen Prägungen der Figuren, deren Ge- und Verbote und Lebensskript. Die AutorInnen verstehen Wünsche und Bedürfnisse ihrer Figuren und sind sich über deren Verhaltens- und Sprachmuster im Klaren.«
Bettina Wüst absolvierte eine Ausbildung als diplomierter Business & Life Coach. Sie ist vom Deutschen Bundesverband Coaching e.V. anerkannt und Mitglied der Deutschschweizerischen Gesellschaft für Transaktionsanalyse. Ihre Fachgebiete sind Transaktionsanalyse, Systemische Familientherapie, Mentaltraining nach Milton Erickson, Introvisions-Coaching, Skript-Analyse, Biblio- & Schreibtherapie.
Fazit
Wie wurden die Inhalte transportiert und was hat es mir persönlich gebracht? Bettina versteht nicht nur viel vom Fach, sie schafft im Seminar eine respektvolle Atmosphäre, miteinander zu arbeiten, hat ein eigenes Konzept zur Erarbeitung von Figuren entwickelt, das speziell für Schriftsteller gestaltet ist, abgeleitet von der Transaktionsanalyse. Nachdem wir unseren Storykompass gefunden hatten, die Figuren nach der Transaktionsanalyse abgeklopft hatten, Egogramme entwickelten, kamen wir zum Konflikt-Handlungsziel, dem Dramadreieck, Psychospielchen, den Antreibern und den Einschärfungen. Zwischen den Seminaren wurden wir ordentlich mit Hausaufgaben bepackt bezüglich unserer Protagonisten, Antagonisten und Nebenfiguren. Das Erlernte sollte natürlich angewandt werden. Intensiv befassten wir uns mit unseren Figuren. Wie denken, fühlen, handeln sie, was ist ihre Lebensgeschichte, wovon werden sie getrieben? Wir arbeiteten im Tandem, mit zwei Draufsichten. Die Hausaufgaben wurden von Bettina und dem jeweiligen Tandem gelesen und durch Nachfragen weiter ausgebaut. Zwischendurch stellten alle Teilnehmer ihr Projekt der Gruppe vor. Auch hier wurden Fragen gestellt zu Punkten, die vielleicht noch etwas mehr ausgearbeitet werden sollten.
Die Mischung macht es … Theorie, Workshop, Teamarbeit, Arbeit im Kämmerchen und die fantastische Betreuung durch Bettina im Kurs, in den Zwischenphasen das persönliche Feedback zu den Hausaufgaben. Eins muss ich noch erwähnen, weil alle Seminarteilnehmer darüber glücklich waren: Die Auseinandersetzung mit den Figuren gibt einen Plopp im Kopf, Ideen sprudeln nur so heraus, es macht Spaß zu schreiben und die Geistesblitze wollen gar nicht enden. Und noch etwas: Der Allerwerteste wird hochgehoben, für die Hausaufgaben gibt es Deadlines, man kann seine Faulheit nicht vor sich selbst entschuldigen, Abgabe bis 17.05. um 17:17 Uhr!
Zusammenfassend kann ich für mich sagen, ich habe ziemlich viel aus diesem Seminar mitgenommen, mehr als ich erwartet habe. Sollte ich jemals eine Schreibblockade bekommen oder mir über eine Figur nicht im Klaren sein, weiß ich, welche Schreibaufgaben ich mir stelle, um meiner Figur näher zu kommen. Und ich werde alle Figuren auf Stimmigkeit nach diesen Modellen abklopfen.
Ich sehe schon die Frage: Warum zuerst die Figuren? Ein Plot schwirrt in meinem Kopf herum … natürlich stellt sich zunächst die Frage: Was für ein Typ macht denn sowas? Was für ein Typ würde sich sowas gefallen lassen? Was für ein Typ würde sich sowas trauen? Was für ein Ekelpaket muss man sein, um das zu tun? Was für einen Typen könnte ich zu so einem Deal/Abenteuer überreden? Was war zuerst? Die Henne oder das Ei? Plot oder Figur? Eindeutig Figur!
Nun nun geht es weiter, ich freue mich drauf!
Plot & Dramaturgie – Dozentin: Kerstin Mehle
Die Struktur und Dramaturgie einer Geschichte hängt nicht nur von den Figuren und dem Genre ab. Sie ist auch eng verbunden mit der Motivation des Autors. Aus diesem Grund beginnt dieses Modul mit einer Ergänzung des vorangegangen Moduls angewendet auf den Autor selbst: Was will der Autor/die Autorin erzählen? Es geht um das Thema, den Erzählkern und die Motivation. Dies wird einen Einfluss auf die Struktur des Erzählens haben.
Anhand von Filmbeispielen und Roman-Anfängen werden unterschiedliche Strukturen aufgezeigt, die in ihrer Komplexität das Anforderungsprofil an eine Geschichte deutlich machen. Gemeinsam arbeiten die Teilnehmer die verschiedenen Ebenen heraus und überprüfen an den eigenen Entwürfen, wie viel bereits vorhanden ist, was fehlt und was verbessert bzw. vertieft werden kann. So werden Grundlagen der Architektur der Geschichte und des Plots erarbeitet.
Die Teilnehmer lernen mehr und mehr dramaturgische Werkezuge kennen und nutzen diese, um das erste Gerüst ihrer Geschichte schrittweise zu verfeinern. Hierbei geht es zunächst um Log-In, Konflikte, Krisen, den sogenannte Mid-Point und das Finale. Diese Dramaturgie wird in Übungen und Hausaufgaben immer dichter gewoben, nicht nur für den Protagonisten. Auch der Antagonist und die weiteren Figuren des Romans werden eingeflochten.
Sind die Strukturen entstanden, werden diese Entscheidungen schließlich gemeinsam kritisch unter die Lupe genommen. Ist das Gerüst tragfähig ist, und steht die adäquate Architektur? Auch hinsichtlich der im ersten Modul erarbeiteten Figurenpsychologie wird jedes Projekt noch einmal untersucht: Bilden die Figuren und die Dramaturgie eine sinnvolle oder gar notwendige Einheit? Spezielle Erfordernisse an Genres, Formate und Experimentelles ergänzen diese Überlegungen, damit auch die Spiel- bzw. Erzählmöglichkeiten erweitert werden.
Als Abschluss dieses Moduls steht der Aufbau jeder Geschichte. Sämtliche Punkte jeder einzelnen Dramaturgie haben ihre Aufgabe, ihren Sinn und ihre innere Logik, mit stimmig und nachvollziehbar agierenden Figuren.
Sprache & Form – Dozentin: Lisa-Marie Dickreite
Das dritte Modul setzt voraus, dass die Figuren und die Dramaturgie jeder Geschichte stimmig ausgearbeitet sind. Nachdem auf diese Weise klar ist, was erzählt werden wird und weshalb, widmet sich das dritte Modul der Frage nach der Form. Es geht hierbei darum, nicht nur eine beliebige Form zu finden, die die Geschichte transportiert, sondern eine, die ein Teil von ihr ist. Denn auch die Form ist Inhalt. Wie erzählt man diese Geschichte bestmöglich? Welche formalen, strukturellen und sprachlichen Stilmittel stehen einem Autor dabei zur Verfügung? Und welche können oder müssen auf welche Weise kombiniert werden, um genau die Form zu finden, die die Geschichte verlangt?
Gemeinsam mit den Autoren werden anhand von Text- und Filmbeispielen verschiedene Stilmittel auf ihre Wirkung hin untersucht: Verschiedene Perspektiven, verschiedene Erzähler und Erzählhaltungen, es geht um Erzählsituation, Erzähltempus und Erzählton. Es geht unter anderem um die Wirkungsweisen von szenischem und summarisch/narrativem Schreiben, von Rückblenden und Wiederholungen und vielem mehr. Auch mit Sprache und Grammatik werden sich die Teilnehmer intensiv auseinandersetzen, mit Rhythmus und Klang, und natürlich auch mit den Satzzeichen. Denn auch ein Komma kann eine dramaturgische Entscheidung sein.
Die Teilnehmer werden sich durch Schreibübungen mit diesen Stilmitteln vertraut machen und sie trainieren. Verschiedene Wege werden aufgezeigt, wie man die Form für seine jeweilige Geschichte finden kann. Innerhalb dieses Moduls werden die Teilnehmer ihren ersten Versuch unternehmen, anhand der aufgezeigten Möglichkeiten und Methoden, ihre eigene Form für ihre Geschichte zu finden und ihren Romananfang schreiben.
In den weiteren Terminen wird einerseits das Wissen über mögliche Formen und Stilmittel durch das Untersuchen von kurzen Textauszügen literarischer Romane erweitert, und andererseits werden die entstehenden Romanfänge überprüft und justiert. Neben der Form werden dabei auch elementare Dinge wie die Figureneinführung, den Spannungsaufbau, die Figurenführung und die Handlung beachtet.
Am Ende des Moduls haben die Autoren einen umfassenden Überblick über wichtige Stilmittel und mögliche Ansätze erhalten, sie sind sich über die Perspektive, das Tempus, die Erzählhaltung und alle stilistischen Merkmale ihrer Geschichte im Klaren. Sie haben ihre Romane bestmöglich erarbeitet und poliert und können nun mit diesem Wissen ihr begonnenes Projekt beenden.
© Sabine Ibing – www.sabine-ibing.ch