Wie ich Gefallen an schlechter Nachbarschaft fand

von Katharina Eigner

Ob Villa, Plattenbau oder Trulli, nördliche oder südliche Halbkugel: sie sind überall. Lady Gaga, der Papst, du und ich haben welche: Nachbarn.

Nachbarschaft ist also leicht. Gute Nachbarschaft ist ein Mysterium, zumindest für mich. Warum eigentlich?

Ich grüße und führe Smalltalk, ohne neugierig zu sein. Ich nehme Pakete für abwesende Nachbarn an. Ich parke nie auf fremden Grundstücken, feiere keine lauten Parties und lasse keinen Zigarettenrauch über den Gartenzaun wabern. Ich verzeihe notorisches Nicht-Grüßen und würde sogar fremde Blumen und Katzen betreuen. Und trotzdem hat mir das Leben, seit ich denken kann, zu viele Scheusale als Nachbarn angespült.

Schon mein Einstieg in dieses Kapitel der Zwischenmenschlichkeit war schlecht:

Ich war vier und hatte wahrscheinlich Spaß am Landleben, denn ich lachte viel und laut. Sehr zum Missfallen der Nachbarin aus dem oberen Stockwerk, die von so viel Fröhlichkeit überfordert war und nicht aufhörte zu keifen. Ich wurde älter, wir zogen in die Stadt. Aber besser wurde es nicht.

Ein Hobby-Detektiv, der Falschparker anzeigte. Eine Miss Messie, die Restmüll im Stiegenhaus stapelte und ihre Nachbarn über selbigen stolpern ließ. Eine Spielplatz-Amazone, die fremde Kinder von der Schaukel jagte.

Ich lernte: Manche Leute haben skurrile Hobbies. An das eventuell vorhandene Böse im Menschen glaubte ich als Teenager noch nicht. Doch die Erlebnisse häuften sich – Stichwort Gemeinschaftswaschküche, die grundsätzlich an unserem eingetragenen Waschtag besetzt war – und irgendwann hatte ich das Gefühl, dass sich diese Negativ-Beispiele des Zusammenlebens ausschließlich um mich scharten. Meine Freundinnen bekamen Kuchen und Weihnachtskekse von wohlgesonnenen Nachbarinnen, erkoren diese wiederum als Patentanten und luden sie zum Essen ein. Ich konnte nicht einen einzigen Erfolg verbuchen: weder freundliches Grüßen noch Aufhalten der Lifttüre zeigten Wirkung. Ich wurde älter, zog aus der elterlichen Wohnung aus, aber besser wurde es nicht.

Ohne vorher gefragt worden zu sein, wurde ich Nachbarin von unangenehmen Zeitgenossen, die auch mit konsequenter Freundlichkeit nicht zu bekehren waren. Unabhängig vom Wohnort lauerte also über Jahre hinweg stereotyp gehässiges Verhalten hinter jeder meiner benachbarten Türen. Was zur Folge hatte, dass ich irgendwann meine Person als Ursache vermutete. Schließlich musste es einen Grund geben, warum ausgerechnet ich von Fieslingen umzingelt war, während alle anderen gemeinsam grillten und Bruderschaft tranken. Ich war auf der Insel der Unseligen, und zwar allein. Um mich herum Friede, Freude, Eierkuchen. Alles Easy-going und Seifenblasenrosa.

Enorm tröstlich fand ich damals Friedrich Schiller: Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Kleinkrieg wurde also auch schon im achtzehnten Jahrhundert zelebriert, und wer weiß, was Schiller zu diesem Satz bewogen hat. Aber Trost allein reichte mir nicht, ich suchte nach Erklärungen.

Ich analysierte mein Umfeld, beobachtete es – streng getrennt nach Alter, Ausbildung, sozialem Status und sogar Ost-West-Gefälle – und kam zum Schluss: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Es gibt keine generelle Ursache für die Lust am Streit. Manches lässt sich eben nicht ergründen. Und selbst wenn: Schlechte Nachbarn sind wie eine Naturkatastrophe. Verhindern kann man sie nicht. Man kann sich nur davor schützen.

Mittlerweile habe ich die mentale Stärke, nicht meine Person für den Mini-Terror jenseits des Gartenzauns verantwortlich zu machen. Sollen die doch mit ihren evil eyes durch die Gegend glupschen! Ich finde es nicht schön, was um mich herum passiert, aber ich komme damit zurecht. Stoische Gelassenheit, alles andere wäre Energieverschwendung.

Außerdem glaube ich an die Theorie, dass kein Mensch ohne Grund in unserem Leben ist. Der eine als Geschenk, der andere als Lektion. Nachbar Tunichtgut, zum Beispiel, habe ich die Idee für meinen ersten Krimi zu verdanken. Ohne ihn wäre ich beim Liebesroman gelandet. Er ist ein Feuerwerk der Gemeinheit, ein wahres Prachtexemplar der Scheußlichkeit. Er liefert niederträchtiges Verhalten auf höchstem Niveau, und jetzt, als Krimiautorin, weiß ich es zu schätzen, ihn direkt vor der Nase zu haben. Forscher bei der Beobachtung einer doppelköpfigen Saiga-Antilope erleben denselben Glücksrausch wie ich, wenn Tunichtgut in seinem Element ist. Und so wird sogar aus schlechter Nachbarschaft noch etwas Gutes. Es ist eben alles eine Frage der Sichtweise.