Von Wahrscheinlichkeit, Wiederkäuern und Roastbeef

von Katharina Eigner

Auf meiner Beliebtheitsskala grundelte die Mathematik schon immer ganz unten. Am schlimmsten fand ich Wahrscheinlichkeitsrechnungen und die Beispiele meiner Mathematiklehrerin dazu: wie hoch ist die Chance, an einem gewittrigen Mittwoch mit einem einäugigen Gnu Kaffee zu trinken? Oder so. Die verheerende Rechnung für mein Desinteresse bekam ich bei der Matura präsentiert, aber das ist eine andere Geschichte.

Ich war fest entschlossen, mein Leben ohne Statistiken hinzubekommen. Große Entscheidungen hätte mir die Wahrscheinlichkeitsrechnung sowieso nicht erspart, und Schreiben ist (relativ) zahlenbefreit, also was soll’s.

Aber: die Mathematik verfolgt mich. Hat wohl noch eine Rechnung mit mir offen.

Und so traf neulich alles Unwahrscheinliche ein, was das Universum zu bieten hat. Ausgerechnet bei der Lesung in meiner Heimatgemeinde.

Normalerweise überlasse ich nichts dem Zufall und bereite mich vor: Auswahl der Lesestellen und Markieren derselben, „Probelesen“ mit Zeitnehmung, stimmiges Outfit und pünktliche Ankunft am Veranstaltungsort. Quasi Flucht nach vorn im Kampf gegen die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schief geht. Aber wie lautet ein Grundsatz der Statistik? Ausnahmen bestätigen die Regel! Und so war an diesem Abend ordentlich der Wurm drin.

Mein Auto streikte und ließ sich nicht überreden zu funktionieren. Ich disponierte kurzerhand um und lieh mir das kleine Blechhupferl meiner Tante. Aber auch das verweigerte den Dienst. Ergebnis: Nervosität und akute Zeitnot. Gott sei Dank war mein Schwager zufällig in der Nähe und spielte Taxi.

Die nächste Hürde war der Veranstaltungsort selbst: am Gemeindezentrum war der Eingang verschlossen. Publikum drin, Autorin draussen. Erst nachdem ich das Gebäude mehrmals umkreist hatte, bemerkte mich jemand und gewährte Einlass. Gerade noch rechtzeitig übrigens, bevor ich waghalsig und vertikal an der Fassade zum erstbesten Fenster emporkletterte. Und mich – in weiterer Folge - die Polizei auf einen Plausch in die Wachstube eingeladen hätte. Ich fragte mich ernsthaft, wie hoch die Chancen für dermaßen viele Widrigkeiten bei Lesungen stehen und dachte kurz an meine Mathematiklehrerin.

Aber das Universum setzte noch eins drauf und holte zum finalen Schlag aus:

Während vermurkster Anreise und Pirsch um das Gemeindezentrum hatten sich einige Post-its aus meinem Buch gelöst. Also musste ich blättern, suchen und – weil ich in der Hitze des Gefechts nicht mehr alle markierten Stellen fand - improvisieren. Leider – oder Gott sei Dank? - fehlte der Bürgermeister, für den eine bestimmte Passage extra zugeschnitten war. Ich konnte mich nicht einmal angemessen darüber ärgern, weil in der hintersten Reihe zwei Männer unentwegt mit ihren Sesseln rückten. Und sogar nach der Lesung steckte der Teufel noch im Detail – beziehungsweise im belegten Brötchen. Die drapierten Roastbeefscheiben waren zwar allerliebst mit Gurke und Mayonnaise verziert, ließen sich aber nur schwer beißen. Sehr unpraktisch, wenn sich eine Zuhörerin nähert, um die allerletzte Frage des Abends zu stellen. Frei von jeglicher Etikette schlang ich das zähe Fleisch hinunter, um ihr pflichtschuldigst zu antworten.

Diese Veranstaltung zeigte mir eindrucksvoll: machmal verketten sich unglückliche Umstände zu einer zerstörerischen Kraft. Vielleicht wollte das Universum meine Widerstandskraft testen. Ob ich in diesem Autorinnenleben noch einmal so ein Desaster erleben werde, kann ich nicht ausrechnen. Aber ich denke es ist wahrscheinlicher, an einem gewittrigen Mittwoch mit einem einäugigen Gnu Kaffee zu trinken.