Von Frühjahrsputz und Perfektion

von Katharina Eigner

Gibt es die perfekte Langeweile? Angesichts Lockdown und Quarantäne eine berechtigte Frage. Umgekehrt steht jedenfalls fest: Perfektion ist langweilig. Das ist ein Basis-Schreibrezept. Nichts ödet mehr an als aalglatte Figuren, die jede Hürde mühelos meistern und nebenbei mit überirdischer Schönheit gesegnet sind. Erst kleine Schwächen wecken das Interesse. Ist es nicht schön, dass selbst James Bond sich immer wieder ausbremst durch chronische Selbstüberschätzung?

Schönheit liegt also im charmanten Makel, der die Perfektion trübt. Daher verteile ich großzügig abgebrochene Schneidezähne, nervtötende Klugscheisserei und krankhafte Untreue an meine ProtagonistInnen. Kleine Fehler sind das Salz in der Suppe und sie haben, kaum zu glauben, sogar in meinem Kleiderschrank ihre Berechtigung.

Neulich war es Zeit für das verhasste Projekt „Ausmisten“, frei nach dem Motto „Was nicht glücklich macht, muss weg“. Fest entschlossen ging ich ans Werk.

Mein textiler Besitz wäre jetzt um zwei Drittel reduziert und ich ein glücklicher Mensch, hätte ich der japanischen Ordnungsgöttin Marie Kondo gehorcht. Habe ich aber nicht.

Der erhoffte Befreiungsschlag blieb aus. Im Gegenteil: Statt krudem Minimalismus herrscht in meinem Kleiderschrank weiterhin überbordendes Chaos. Denn ich habe mich mit meinen Hosen, Kleidern und Tops nicht übers Glücklichsein unterhalten, sondern sie wie Figuren in Krimi und Thriller behandelt. Wer macht was warum? Wer ist trotz Schönheitsfehlern unverzichtbar?

Zunächst hielt ich mich noch einigermaßen an das Manuskript und stellte die Fragen systematisch. Warum macht mich das schwarze Strickkleid nicht restlos glücklich? Weil der figurbetonte Schnitt die Lockdown-Kilos betont. Aber muss ich immer perfekt aussehen? Nein, denn im kleinen Makel verbirgt sich die Schönheit, also Mut zu Rundungen!

Gibt es textile, unerwartete Wendungen? Ja! Wenn ich mich endlich traue, eine Schärpe in Pink zum orangefarbenen Sommerkleid zu tragen. Früher ein No-Go, aber meine Person hat sich weiterentwickelt. Heute sage ich: Hingucker statt Langeweile!

Der Ordnung halber und um mein Ziel nicht komplett zu verfehlen, trennte ich mich von ausgebleichten T-Shirts und labbrigen Pullis. Kill your Darlings, auch wenn sie einem ans Herz gewachsen sind. Außerdem wollte ich dem Glück der Motten nicht im Wege stehen. Nach den Schals, Handtaschen und Schuhen driftete ich endgültig ins Autorinnen-Verhalten ab. Welche textilen Partner wünsche ich oft zur Hölle, obwohl sie mit mir durch dick und dünn gehen? Meine Jeans. Jeans sind für meine Lebensgeschichte unverzichtbar. Ohne sie bin ich nicht vollkommen, und nach kurzen Intermezzi mit Dirndl oder Caprihose kehre ich doch wieder reumütig zu ihr zurück. Wir sind ein Team, bereit fürs nächste Abenteuer. Wie ein Ermittlerduo, das allen Umständen trotzt! Die kleine, ausgefranste Stelle am Kniemacht sie übrigens nur noch liebenswerter. Und der weiße Farbfleck an der Seite wird mich ewig an das Ausmalen der Kinderzimmer erinnern. So gesehen war der Großputz ein Auffrischen meines Gedächtnisses, das sich über zwei Tage hingezogen und mir gutgetan hat. Marie Kondo weiß ja gar nicht, was sie verpasst.