Virtuelles Balzen, digitale Miniröcke, Coco und meine geträumte Bäckerei in Paris

von Katharina Eigner

Wer wütend ist, muss Dampf ablassen. Glückliche Besitzerinnen eines Boxsackes werden mir zunicken. Ein Urschrei vom Berggipfel befreit ebenfalls.

Aber was, wenn der Nanga Parbat gerade zu weit weg ist? Für Finger-Powermudras – also das Aneinanderpressen von Daumen und Ringfinger, bis der Puls wieder in der Spur ist – bin ich zu wenig Friedensengel. Geht mir zu langsam.

Ich habe das Backen für mich entdeckt. Mehlsäcke schleppen und Teigkneten entspannt mich. Über die Ein-Kilo-Säckchen bin ich übrigens längst hinweg – unter 5 Kilo Roggenmehl mach ich´s nicht mehr. Was als Akt der Verzweiflung begann (sprich: sinnvolle Beschäftigung während des Shutdown) hat sich zu einer veritablen Therapie ausgewachsen: Neben Frust abbauen kann ich beim Backen mittlerweile Figuren für mein Manuskript entwickeln, Plotten und sogar Erzählstränge miteinander verweben. Je nach Stimmungslage gibt´s duftende Kipferl, krosse Baguettes oder resches Schwarzbrot. Ich sollte also bald einen Namen für meine Boulangerie am Fuß des Montmartre finden.

Aber: nicht immer geht es friedlich zu. Hunger ist der beste Koch, und Wut die beste Küchenmaschine.

Wütend machte mich, was vor kurzem einer Autorenkollegin und Rezensentin passierte.

Seit Instagram und Co Plan B und C für die coronabedingte Lesungs-Durststrecke sind, wird virtuell gebalzt, was das Zeug hält. Hormonübersäuerte Männchen gehen im Netz auf Brautschau, posten Anrüchiges und wähnen sich im Schlaraffenland der Weiblichkeit. Früher, im analogen Zeitalter, galt die Länge (oder besser: Kürze) des Rockes als Maß der weiblichen Eigenverantwortung. Längst ist der Minirock digital geworden.

Besagte Autorin hat also mit zig Buchvorstellungen, Live-Lesungen und Interviews in den sozialen Medien ihre Follower durch die Krise gelotst, sie bei Laune gehalten und neue dazugewonnen. (Überlebenswichtig für AutorInnen, denn wir wissen: Aufmerksamkeit ist das neue Gold.)

Ihre Art: leger, ein bisschen crazy, klug, absolut sattelfest in der Literatur, und eben auch: gut aussehend. Startschuss und selbst erteilte Erlaubnis für einen vermeintlichen Bücherwurm, sie mit schmierigen Komplimenten zu überschütten. Quasi seitenlang. Das ganze Repertoire an Widerlichkeiten rauf und runter, ohne dass sie einladende Signale in den virtuellen Raum geschickt hätte. Sein Verhalten war nicht mit bloßen Frühlingsgefühlen entschuldbar; sie hat sich gewehrt. Das Resultat ihrer klaren Absage: ein massiver Verlust an Followern. All die Knochenarbeit umsonst? Wegen der Unlust, sich anzubiedern und virtuell begrapschen zu lassen?

Ich verdresche Teigkugeln auf meiner Arbeitsplatte und verfluche alle selbstverliebten Gockel. Heute gibt es Schwarzbrot. Viel Schwarzbrot! Und Baguettes.

Am Montmartre taucht Coco Chanel aus dem Mehlstaub auf. Welches Outfit für die Online-Lesung?, frage ich sie. Sie lächelt. Geradlinigkeit und das, was dir gefällt!

Der Mehlstaub senkt sich, die Baguettes duften, Coco lächelt und plötzlich ist er da, der Name für meine Boulangerie: Chez Catherine. Klingt schön.