Morbider Charme

von Katharina Eigner

Duftende Bouquets, kugelige Vasen mit Tulpen, wuchernde Farne und Buntnesseln am Fensterbrett: Gibt’s bei mir alles nicht. Mag sein, dass üppige Flora die Kreativität ankurbelt; Grün soll ja entspannen. Aber entspannt kann ich nicht morden. Weder gedanklich noch am Papier, respektive der Tastatur. So sehr ich das frische Grün im Frühling liebe, so wenig ich mich an blühenden Bäumen satt sehen kann: am Schreibtisch brauche ich morbiden Charme. Meine Schreibzimmer-Pflanzen sind knusprig, verdorrt und gerade noch am Leben. So habe ich sie am liebsten. Wenn sie ihre Vitalfunktionen unmittelbar vor meinem Bildschirm aushauchen, komme ich auf die besten Ideen. Gesenkte Blütenköpfchen und ertränkte Kakteen sind wahre Gedanken-Turbos. Meine halbtoten Pflanzenfreunde sind die besten Schreib-Buddies, die ich mir wünschen kann. Der Weg zu dieser Erkenntnis war allerdings lang, steinig und teuer.

Jahrelang schämte ich mich für meinen nicht vorhandenen grünen Daumen. Ich erkannte meine Grausamkeit und versuchte, die vielen Pflanzenmorde zu vertuschen. Vor meinen Freunden, meiner Familie und mir selbst. In regelmäßigen Abständen kaufte ich Kakteen, Grünlilien und Orchideen nach, um die zahlreichen, verwaisten Übertöpfe auf den Fensterbrettern wieder mit Leben zu füllen. Rückwirkend gesehen war das pure Heuchelei und Selbstbetrug.  

Der dienstälteste Mitarbeiter im nahen Gartencenter schob mir bereits unaufgefordert Nachschub zu, sobald ich die heiligen Hallen betrat. Er war mein Dealer, mein einziger Mitwisser und hielt das profitable Geschäft mit dem Grünzeug am Laufen.

Erst als meine beste Freundin, begnadete Pflanzenflüsterin, mich beim Nachkaufen erwischte und somit entlarvte, musste ich Farbe bekennen. Sie schimpfte mich roh und grausam. „Pflanzen haben eine Seele!“, klärte sie mich auf. „Und sie sind äußerst kommunikativ, nicht nur untereinander!“ Sie gab alles, um das Verhältnis Mensch-Pflanze zu optimieren.

„Rede mit ihnen!“, verlangte sie streng, und ich gehorchte.

Seither hat sich einiges geändert. Ich kaufe nicht mehr nach, sondern rette. Meist zwar erst im allerletzten Moment, aber immerhin. Meine Pflanzen und ich haben viel dazugelernt. Unser Verhältnis ist schwierig, aber stabil. Sie geben alles, um mich zu kriminalistischen Höchstleistungen anzuspornen. Ich wiederum lobe sie dafür und weiß ihre Geduld zu schätzen. Wenn das Schlimmste überstanden, sprich: das Manuskript fertig ist, spendiere ich hin und wieder sogar neues Substrat oder gebe Düngerstäbchen aus. Die ganz Braven bekommen sogar einen neuen Übertopf. Sind ja genügend da.