Bin ich Sie? Und wenn nicht, wer dann?
von Katharina Eigner
Neulich war ich im falschen Film. Zumindest fühlte es sich so an. Ein Journalist hatte seinen (und meinen!) Interviewtermin vergessen und mich versetzt. Herausgeputzt für das Pressefoto und dampfend vor Wut trauerte ich der vergeudeten Zeit nach, in der ich so viel Anderes hätte tun können, statt wie eine Zimmerpflanze in der Gegend herumzustehen.
Momente wie diese sind ja listig wie die Schlange im Garten Eden: sie verleiten zum Hochmut und machen blind für das Wesentliche. Ich war versucht, meine eigene Lebenszeit höher zu reihen als die des Journalisten. Gebe ich zu. Eitelkeit nennt man das wohl.
Aber kurz vor der Abzweigung zum Hochmut begegnete mir Simona. Vorigen Herbst durfte ich eine Reportage über sie schreiben. Diese Begegnung werde ich nie vergessen.
Simona hat das Kämpfen nicht gelernt, sie hat es erfunden. Behaupte ich. Sie nimmt alles Menschenunmögliche auf sich, um die Ausbildung ihrer Töchter zu finanzieren. Schläft unter der Brücke, statt sich ein Zimmer zu leisten, auch im Winter. Wäscht sich mit sonnengewärmtem Wasser aus Flaschen, statt fünf Euro für die öffentliche Dusche auszugeben. Simona tut alles, um ihre drei Mädels aus dem rumänischen Dorf zu bringen, in dem sie selbst als junge Frau hängen geblieben ist. Ohne Perspektive, ohne Chancen. Sie lässt sich von der deutschen Sprache nicht einschüchtern, hat chronische Rückenschmerzen und nur mehr eine Niere, trotzdem ist sie immer gut gelaunt.
Und ich? Stehe im Dirndl auf High-Heels in der Fußgängerzone und ärgere mich über….worüber eigentlich? Urplötzlich schäme ich mich und wünsche mir eine Erdspalte, die mich schnellstmöglich verschlingt. Aber Simona strahlt mich an und redet vom Artikel, den ich damals über sie geschrieben habe. Warum ich hier in der Stadt bin, will sie wissen. Und dann entdeckt sie eines der Plakate, die meine Premierenlesung ankündigen. Sie vergleicht mein Gesicht mit dem Foto und zeigt darauf: „Sie bist!“
Diese zwei Worte brachten mich ins Grübeln. Welche Sie bin ich wirklich?
Simona war das Beste, was mir an diesem Tag passieren konnte und hat mich an drei Punkte erinnert:
- Krimis schreiben soll mich glücklich machen, nicht hochmütig.
- Das Wesentliche passiert nicht im Blitzlicht, sondern am Wegesrand.
- Auch Journalisten sind nur Menschen, und die vergessen eben manchmal Termine. Nicht absichtlich, aber es passiert.