Angenommen, das Manuskript ist fertiggestellt

von Katharina Eigner

… überarbeitet und nur noch einen Mausklick davon entfernt, in die literarische Umlaufbahn katapultiert zu werden. Endlich, seit Monaten der harten Arbeit im stillen Kämmerlein, ist man am Ziel: die vier berühmten Buchstaben E N D E sind geschrieben. Die Liste mit den Verlagen der Wahl liegt am Schreibtisch, der Tee dampft in der Tasse und es gibt nichts, aber auch gar nichts mehr, warum man das Vorhaben nicht in die Tat umsetzen sollte. Und trotzdem….
Nein, ich rede nicht von meinem Perfektionismus, der mich zurückhält und in eine weitere Überarbeitungsrunde jagen will. Momentan leben wir getrennt. Ich rede von urplötzlichen Angstschweiß-Ausbrüchen, die der verzweifelte Anruf von meinem lieben Freund und Schreibkollegen Daniel letzte Woche ausgelöst hat.
„Sie wollten mich nicht.“ Und noch bevor der Schaum meines Cappuccinos zusammensinken konnte, hatte sich Daniel seinen Frust von der Seele geschluchzt.
Der Beitrag, mit dem er – ohne seine Identität preiszugeben – an einem Literaturwettbewerb teilgenommen hatte, war von der Jury abgelehnt worden. Begründung: der Text sei eindeutig von einer Frau verfasst worden: zu gefühlsbetont, zu detailverliebt, zu nachdenklich. Blumig, überbordend, schwammig. Für die Anthologie sei man aber ausschließlich an Beiträgen von Autoren interessiert. Noch bevor ich die Tragweite der Situation erkannte, war ich von einem winzigen Detail am Rande fasziniert:
„Du hast eine Absage erhalten, die speziell an dich gerichtet war? Keine Standardsätze aus der Dose? Das ist ein Ritterschlag!“
Daniel schluchzte im Fortissimo in mein Ohr; also schickte ich meinen Mann kurzerhand allein zum Rolling-Stones-Konzert und machte mich auf den Weg, um meinen besten Freund zu trösten. Daniel saß schon am Fensterbrett, bereit für den Sprung. Das Basilikum hatte er zuvor noch gegossen und zur Seite gestellt.
„Der Literaturbetrieb hat eindeutig ein Problem mit Frauen“, sagte er zehn Minuten später, nachdem ich ihn vom Sims gefischt und ihm eine heiße Schokolade bereitet hatte. Gedankenverloren rührte er in der Tasse und begann, das Desaster zu analysieren.
 „Wenn sogar ich, obwohl ich ein Mann bin, als zu feminin abgelehnt werde; wie schlimm ist es dann um euch Frauen tatsächlich bestellt?“ Berechtigte Frage. Und Daniels sensibler Psyche konnte und wollte ich die Antwort nicht zumuten; zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt. Denn mir fielen einfach zu viele Frauen ein, die nur unter der Verwendung eines Pseudoandronyms veröffentlichen konnten. Marie Hirsch, zum Beispiel, wurde Ende des 19. Jahrhunderts als Adalbert Meinhardt bekannt. Emmy Koeppel veröffentlichte ihre Romane als Georg Hartwig. Also schlürfte ich ratlos mein übersüßtes Heißgetränk und schielte in Richtung Fensterbrett. Genaugenommen durfte ich nicht einmal Harry Potters Schöpferin erwähnen, die sich – Ende des 20. Jahrhunderts! – zu Beginn hinter ihren Initialen verstecken musste.
„Angenommen, du säßest in einer Jury: wie würdest du meinen Stil beschreiben?“, fragte Daniel mich angriffslustig, nachdem sein Blutzuckerspiegel wieder im Lot war.
„Unverwechselbar. Mitreißend. Empathisch.“
„Eben“, sagte mein lieber Schreibkollege und knallte die leere Tasse in die Spüle. „Eigenschaften, die auf Autorinnen ebenso wie auf Autoren zutreffen können. Wer also maßt sich an, blind eingereichte Texte den Geschlechtern zuordnen zu können?“, spann er den Faden weiter.
Mein Angebot, den nächsten Text von meiner Mail-Adresse wegzuschicken (tollerhecht@schreiberling.at), die ich mir zu Tarnzwecken einmal zugelegt hatte, erntete entrüstetes Kopfschütteln. „Ich könnte ebenso gut als Absender einfach „Dani“ angeben, das wäre geschlechtsneutral. Aber sich zu verbiegen ist keine Option, my dear. Write for your right!“
Ich spürte, dass er wieder zu seinem selbstbewussten Autoren-Ich gefunden hatte und warf die nächste Frage ein:
„Warum gewinnen mehr Männer Buchpreise, obwohl an den Schreibschulen Frauen in der Überzahl sind?“ Kampflustig beschloss ich – nach einem weiteren Heißgetränk, diesmal mit ordentlich Rum – die Ungleichung umzudrehen und selbstbewusst sämtliche Preise abzusahnen, ohne je eine Schreibschule besucht zu haben. Ich plante, die einzige Literatursendung des österreichischen Fernsehens, die mittlerweile abgeschafft worden war, mittels Crowd-Funding wieder auferstehen zu lassen und selbst zu moderieren.
Den Rest des Abend verbrachten wir mit gegenseitigem Vorlesen und Geschlechterraten.
„Von wem ist dieses Zitat: The secret of getting ahead is getting started?”, fragte mich mein lieber Schreibkollege und stellte das Basilikum wieder an seinen Platz, bevor ich nach Hause ging.
„Agatha Christie?“
„Richtig. Und jetzt schick endlich dein Manuskript ab. Worauf wartest du?“
Danke, Dani!