Psychopathinnen – Ein Vortrag der Kriminalpsychologin Lydia Benecke

Webseiten-Redaktionsmitglied Gudrun Bendel war dabei und berichtet von einer Veranstaltung im Deutsch-Amerikanischen Institut in Heidelberg am 24. Mai 2019

Lydia Benecke ist ein Star der sogenannten Profiler-Szene. Die Kriminalpsychologin und Sachbuchautorin mit dem markanten Äußeren – glattes, rotes Haar und gekleidet im Gothic-Stil –, arbeitet hauptsächlich mit Sexualstraftätern. Mit dem Thema „Psychopathinnen“ betritt sie Neuland, denn sie werden erst seit einigen Jahren erforscht.

Der Vortrag dauerte drei Stunden – ohne Pause – und die Beamer-Präsentation auf der Leinwand stellte die einzige Lichtquelle im Saal dar. Aber nicht allein deswegen war die Atmosphäre im Saal bedrückend. Wer kuscheligen Grusel á la „Criminal Minds“ erwartet hatte, wurde enttäuscht. Denn Benecke stellte reale Fälle vor, die verstören und entsetzen. Und sie nahm dabei kein Blatt vor den Mund. Grausame Fakten sind ihr Tagesgeschäft.

Zum Thema recherchierte sie zunächst in den Gerichts- und Ermittlungsakten eines ihrer Klienten. Frauen gelten gemeinhin als wehrlos, geduldig und verzeihend. Sollte es Psychopathinnen also überhaupt geben? Benecke antwortet klar und deutlich: Allerdings! „Sie töten ebenso grausam wie Männer und sie bleiben lange unentdeckt“.

Als erste Psychopathin gilt die ungarische „Blutgräfin“ Elisabeth Bathory (1560 – 1614). In ihrer Umgebung verschwanden auffällig viele junge Frauen, die zu Tode gefoltert wurden. Benecke geht davon aus, dass die Frauen aufgrund ihrer Jugend und Schönheit getötet wurden und damit Eifersucht das Motiv war. 

Und Motive und Erklärungen, so Benecke, werden in solchen grausamen Verbrechen dringend gesucht. Auf den wissenschaftlichen Diskurs, den Benecke verständlich und nachvollziehbar erläuterte, wird an dieser Stelle verzichtet. Festzuhalten bleibt, dass Psychopathinnen „messbar“ frei von Angst, Schuld und Mitgefühl sind. „Normalkonfiguriert“ sind für Benecke Menschen, die sich der Konsequenzen für ihr Handeln bewusst sind, wie z.B. Strafe, Scham und Mitleid.

Psychopathinnen fehlt dieses Konsequenzbewusstsein. Sie halten sich vielmehr für überlegen und sind überzeugt davon, dass sie nicht gefasst werden. Sie sind süchtig nach Kicks, Abwechslung und Bestätigung. Ihnen fehlen die emotionalen Bremsen. Sie sind Meisterinnen der Manipulation und haben eine hohe soziale Kompetenz. Augenblicklich können sie die Reaktionen des Gegenübers nutzen und für ihre Ziele einsetzen.

Bis hierhin konnte man es im Publikum noch wispern und tuscheln hören und hier und da ein wissendes Nicken wahrnehmen. Doch dann wurde es still. Denn Benecke teilte eine wissenschaftliche Erkenntnis, die „Normalkonfigurierte“ nur schwer nachvollziehen können: Psychopathische Straftäterinnen töten nicht aus Mordlust. Sie töten, weil das Töten lediglich eine Möglichkeit (von vielen) ist, um ein Ziel zu erreichen.

Um einen Eindruck zu vermitteln, um was es geht, zeigte Lydia Benecke den Trailer des amerikanischen Thrillers „Basic Instinct“ (1992). Die Hauptfigur (Sharon Stone in der Rolle der Catherine Tramell) ist charismatisch, faszinierend und hochgradig sexuell manipulativ. Sie verfolgt skrupellos, dominant und angstfrei ihre Ziele. „Alles, was sie sagt, ist eine Lüge, aber ihre Wahrheit“ (Zitat eines Polizisten im Film).

Beziehungen können für Psychopathinnen also bloße Mittel zum Zweck sein. Das reiche, so Benecke, von krasser emotionaler Erpressung („Ich bringe mich um, wenn du nicht … “) bis hin zur Rolle einer „liebevollen Helferin“, die sich Vertrauen erschleicht, um Informationen zu erhalten. Emotionen werden lediglich gespielt, sie sind nicht verlässlich. Das erklärt, warum Menschen oder Familien, die mit Psychopathinnen zusammengekommen sind, häufig traumatisiert sind. Sie sind völlig erledigt und nur noch froh, wenn diese Person endlich aus ihrem Leben verschwunden ist, so Benecke. Das könnte ein Grund sein für eine vermutlich hohe Dunkelziffer an Verbrechen: Betrug, Rufmord, Unterschlagung werden nicht zur Anzeige gebracht.

Dabei haben Psychopathinnen männlichen Tätern etwas voraus: Sie nutzen die Rollenklischees, sind hilfsbereit und schwach, wenn es darauf ankommt, andere zu täuschen.

Psychopathinnen sind auch Mütter. In den beiden von Benecke vorgestellten amerikanischen Fällen nutzten die Täterinnen auch ihre eigenen Kinder für ihre Zwecke. Die Kinder wurden als Arbeitssklaven oder Mitwisser missbraucht und durch impulsives Handeln, Bevorzugung und Abwertung gegeneinander ausgespielt und kontrolliert. Schockierend war, dass sich mindestens eines der Kinder um Hilfe bemüht hatte: Aber dem Kind wurde nicht geglaubt. Denn die Mütter waren hilfsbereite, perfekte Hausfrauen und mit ehrbaren Männern liiert. Im Umkehrschluss stellten die Mütter die Kinder als manipulatorisch und verlogen dar. Erst, als man begann, den Kindern zu glauben, und bestimmte Verhaltensweisen hinterfragte, wie z.B. häufige Umzüge und vermisste Expartner, kamen die Morde und Folterungen ans Licht. Eine der beiden Psychopathinnen, die Benecke vorstellte, lebt noch heute und sitzt in einem Gefängnis in den USA ein.

Es war keine leichte, appetitliche Kost, die Lydia Benecke an diesem Abend servierte, aber für Krimiautorinnen absolut nahrhaft.

Zum Weiterlesen:
Lydia Benecke: Psychopathinnen – Die Psychologie des weiblichen Bösen, Bastei Lübbe, 2018