Vermisst! Entführt! Gefangen! Teil 3

von Susanne Rüster

     

Die Frau ist in einem Keller. Gefangen. Was geschieht jetzt mit ihr?

Um die Auswahl und Observierung des Opfers, den Überfall und den Transport in ein Versteck ging es in den ersten beiden Teilen. Es folgt die Verhandlungsphase, mit der die Kidnapper*Innen eine bestimmte Forderung durchsetzen wollen.

Das Versteck

Für die Unterbringung des Opfers kommen sichere und unauffällige Orte in Betracht, etwa eine abgelegene Hütte, eine Höhle, ein Keller, eine Garage. Da das Opfer möglichst keine Informationen über die Täter*Innen erhalten soll, wird es oft in Dunkelheit und z.T. gefesselt oder mit verbundenen Augen gehalten.

„Es geht los“, sagt eine raue Stimme. Was geht los?, will sie schreien, aber es kommt nur ein Krächzen heraus. Ihr Entführer löst die angeketteten Hände. Immerhin nimmt er ihr die Augenbinde ab. Sie blinzelt. Ein großer massiger Typ mit schwarzer Strumpfmaske. „Brot und Marmelade.“ Er stellt den Teller auf den Boden. „Damit Sie nicht umkippen. Wir haben noch was mit Ihnen vor.“

Die Versorgung mit Nahrung, Getränken, ggfs. Medikamenten ist oft gewährleistet, denn ein krankes, verletztes oder gar totes Opfer hindert die Durchsetzung des Ziels der Entführung. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, werden manchmal die Geisel und/oder nahestehende Personen weiteren seelischen Torturen ausgesetzt, z.B. durch Scheinexekutionen, Ankündigungen von Verstümmelungen. Auch wenn das Opfer körperlich unversehrt bleibt, steht es unter riesigem psychischem Druck.

„Was haben Sie vor mit mir?“ Aber der Mann geht wortlos weg. Würde er ihr Essen hinstellen, wenn sie umgebracht werden sollte? Als besondere Gemeinheit, damit sie zwischendurch ein bisschen Hoffnung auf Überleben schöpft?

Die Verhandlungen

Kurze Zeit nach der Entführung erfolgt die Kontaktaufnahme mit der Familie der Geisel oder ihr nahestehenden Personen, bei Persönlichkeiten der Politik/Wirtschaft auch mit ihrem beruflich/geschäftlichen Umfeld. Das Ziel ist klar: Die Täter*Innen wollen möglichst viel Geld oder sie wollen eine politische Forderung gewaltsam durchsetzen, die Angehörigen wollen eine unversehrte Geisel zurück. Der Ablauf ist immer gleich:

  • Mitteilung der Entführung,
  • die Forderung,
  • Aufforderung, eine/n Unterhändler/in zu benennen,
  • keine Polizei, keine Medien,
  • Drohung mit Gefahr für Leib/Leben der Geisel, falls die Forderung nicht erfüllt wird.

Die Kommunikation zwischen Entführer*Innen und nahestehenden Personen erfolgt meist zu festgelegten Terminen über eine bestimmte Telefonnummer. Aber auch Prepaid-Handys können geortet werden, und die technischen Möglichkeiten der Spracherkennung durch die Polizei sind weit fortgeschritten. Daher müssen professionell agierende Täter*Innen Auffälligkeiten im Hinblick auf Alter, Dialekt, Muttersprache, stimmliche und sprecherische Eigenarten vermeiden, sonst werden sie leicht Opfer der Stimmenanalyse. Auch sollte die Entführer*Innen-Stimme noch nicht als Audiomaterial in einer Polizeidatei lagern. Zur näheren Information über die Möglichkeiten der forensischen Sprechererkennung:

https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Ermittlungsunterstuetzung/Kriminaltechnik/Biometrie/Sprechererkennung/sprechererkennung_node.html

Möglicherweise wird deshalb wieder vermehrt auf den altmodischen Briefkontakt per Post oder auf versteckt an einem verabredeten Ort hinterlegte Nachrichten zurückgegriffen.

Die Forderung

Geht es um Lösegeld, wird vielfach ein Millionenbetrag verlangt. Eine politische Forderung richtet sich nach dem verfolgten terroristischen Ziel.

Die Gefangene schluckt mühsam ein paar Bissen Marmelade-Brot herunter, spült mit Wasser nach. Nach draußen kann sie nicht sehen. Kein Fenster, die Tür verschlossen. Sie hockt sich auf die Pritsche, legt die Stirn auf die angezogenen Knie und wird vom Schluchzen geschüttelt.

Die Polizei und die Angehörigen

Ging es bis jetzt um Täter*Innen und Opfer, erweitert sich jetzt der Kreis der Akteure. Die Forderung wird regelmäßig gegenüber Kontaktpersonen des/der Gekidnappten gestellt. Die Entführung eines nahestehenden Menschen bedeutet für alle Beteiligten eine extreme psychische Ausnahmesituation. Manche Menschen reagieren mit Panik, andere mit Lethargie. Die Fähigkeit, rational zu denken, ist reduziert, manchmal völlig aufgehoben, auch können bisher verdeckte Konflikte aufbrechen. Man fürchtet um das Leben der Geisel, man fürchtet, falsche Dinge zu tun. Manchmal wollen Angehörige aus Angst die Polizei nicht einschalten.

Experten warnen: Dem Opfer nahestehende Menschen haben kaum eine Chance, die Entführung allein und mit gutem Ausgang zu lösen, sie sind mit einer Freilassungsverhandlung meist überfordert. Oft gehen sie zu schnell auf die Forderung ein, und die Geisel wird trotzdem nicht freigelassen, vielmehr wird die Forderung erhöht. Speziell geschulte Kräfte der Polizei können auch besser umgehen mit Androhung der Tötung oder Verstümmelung des Opfers. Polizeipsychologen wissen, dass die stärkste Waffe der Entführer*Innen die Zeit und die Angst des Opfers und seiner Angehörigen ist. Selbst wenn die Nahestehenden - entsprechend dem Verlangen - die Polizei anweisen, sich herauszuhalten, nützt dies nichts. Denn die Polizei hat nicht allein das Leben der Geisel zu schützen und sie zu befreien, sondern sie ist auch rechtlich verpflichtet, Beweise zu sichern und möglichst die Täter*Innen festzunehmen. Besonders belastend für die Angehörigen ist es, dass sie über die polizeiliche Taktik nichts erfahren, weil diese verdeckt stattfindet. Daher wird in der psychologischen Betreuung versucht, die Familie zu beruhigen und sie allgemein auf das weitere Geschehen, etwa auf Täter-Kontakte und die Übergabe des Lösegelds vorzubereiten.

Literaturtipp: Friedrich Ani lässt mehrere seiner Krimis im Vermissten-Kommissariat in München spielen.

Vorrangig ist zu klären, ob die Geisel (noch) lebt. Gleich zu Beginn der Verhandlungen muss der sog. Lebensbeweis erbracht werden, oft durch eine Foto- oder Videoaufnahme des Opfers mit einer tagesaktuellen Zeitung oder durch eine aktuelle Information, die nur die Geisel kennen kann. Dieser Lebensbeweis ist immer wieder zu erneuern, vor allem vor Einigung und Geldübergabe.

Die Tür wird aufgestoßen. „Waschen Sie Ihr Gesicht.“ Der massige Typ drückt ihr einen nassen Lappen in die Hand. Und eine Tageszeitung. „Lächeln. Es geht Ihnen noch gut.“ Ehe sie versteht, was passiert, flammt ein Blitzlicht auf, dann ist der Entführer wieder verschwunden, die Tür verschlossen.

Die Angehörigen sind gleichwohl wertvolle Helfer für die Polizei. Sie müssen ihr Einverständnis zur Zahlung von Lösegeld erklären und überlegen, ob und wie dieses beschafft werden kann. Sie müssen ihr Einverständnis zur Überwachung des Post- und Telefonverkehrs, zur Aufnahme von polizeilichen Schutz- und Betreuungspersonen im Haus, zur Einschaltung von Berater*Innen und Psycholog*Innen der Polizei erklären, Hinweise zur psychischen und gesundheitlichen Situation der entführten Person sowie zu deren üblichen Lebensumständen geben, damit die Polizei ihre Taktik darauf einstellen kann. Vor allem aber müssen sie die Lebensbeweise erkennen, d. h. die Konfrontation mit einem ev. gefesselten oder lädierten Opfer aushalten.

Polizeipsycholog*Innen werden die Angehörigen auch auf Pannen vorbereiten, etwa dass die Forderung nach einem neuen Lebenszeichen nicht beantwortet wird, dass die Medien ungefragt über den Fall berichten, dass die Geldübergabe fehlschlägt, dass die Entführer*Innen sich nicht mehr melden.

Hilfreich ist es, wenn eine von den Angehörigen benannte neutrale und belastbare Person, die das Opfer gut kennt, ohne emotional gebunden zu sein, für sie handelt. Der/die Unterhändler/in sollte fähig zum Krisenmanagement und in der Lage sein, ein Vertrauensverhältnis zur Täterseite herzustellen. Gibt es keine Person, die intellektuell und psychisch in der Lage ist, diese Anforderungen zu erfüllen, kommt auch der Einsatz eines Polizei-Doubles in Betracht, was eine neue Strategie erforderlich macht.

Sie bemüht sich, ruhig zu atmen, nachzudenken. Würden ihre Entführer jetzt Kontakt zu ihrer Familie aufnehmen und ihre Forderung stellen? Wieviel wollen sie? Wer sollte für sie zahlen? Einen reichen Mann hat sie nicht. Ihre Eltern haben ihr Auskommen, nicht mehr. Müssen sie jetzt ihr Häuschen verkaufen, um das Lösegeld aufzubringen? Zahlt der Staat in solchen Fällen? Und wenn die Forderung nicht erfüllt würde? Ruhelos und voller Angst wirft sie sich auf der Pritsche hin und her und ein Gedanke beherrscht sie: Was passiert als nächstes mit ihr? Warum sie, ausgerechnet sie?

Im nächsten Teil geht es um die Lösegeldübergabe, die Freilassung des Opfers und die psychischen Folgen einer Entführung.