Der Lesbenkrimi

von Cornelia Härtl

Was ist eigentlich ein Lesbenkrimi und wie hat sich dieses Genre aus einer Nische heraus entwickelt? Anlässlich des Pride Month und der Aktion „Bücher sind bunt - #Pridebuch“ des Börsenvereins des deutschen Buchhandels ist Cornelia Härtl dieser Frage nachgegangen.

Lesbenkrimis sorgen für bunte Vielfalt im Bücherregal. Nicht nur während des Pride Month im Juni

Jedes Jahr im Juni wird der Pride Month ausgerufen, in dem ganz besonders auf die bunte Vielfalt des Lebens und Liebens aufmerksam gemacht wird. Unter anderem mit dem vielerorts stattfindenden Christopher Street Day (CSD). Ausgehend von der Schwulen- und Lesbenbewegung der 1970-Jahre und ausgelöst durch den Widerstand gegen eine brutale Razzia im Jahr 1969 in New York, wird er auch hierzulande seit Jahrzehnten in wechselnden Formen begangen. Dabei wird queeres Leben, das neben Homosexuellen unter anderem Bisexuelle, Transmenschen, Asexuelle und sich als nicht-binär empfindende Personen einschließt, stolz gefeiert.

Bücher sind bunt und #PrideBuch – Die Aktion des Börsenvereins im Juni 2023

Passend zum Thema des jährlichen Pride Month ruft der Börsenverein dieses Jahr auf, bunter Vielfalt auch beim Lesen Aufmerksamkeit zu schenken. Dazu gibt es inzwischen für jede gedankliche und praktische Lebensrichtung genügend Auswahl. Sogar große Publikumsverlage wagen sich an queere Themen. Eines der Subgenres in diesem Bereich sind Krimis von, für und über Lesben.

Lesbische Literatur

Lesbische Literatur gibt es seit Jahrzehnten. Sie kam allerdings häufig verschlüsselt (Das Mädchen Manuela - besser bekannt ist der Filmtitel Mädchen in Uniform) von Christa Winsloe, leidend (Quell der Einsamkeit) von Radclyffe Hall oder unter Pseudonym (Carol - Salz und sein Preis) von Patricia Highsmith als Claire Morgan veröffentlicht,daher. Noch bis in die 1980-er Jahre hinein war es schwierig positive, ermutigende Romane über die Lebenswelt lesbischer Frauen – und damit über Protagonistinnen, die als Identifikationsfiguren dienen konnten - zu finden. Das änderte sich, als die bis dahin herrschende männliche Vorherrschaft über den Kriminalroman zu bröckeln begann. Immer mehr Autorinnen schrieben jetzt Krimis. Das nicht nur cosy, sondern durchaus hardboiled, auf jeden Fall spannend. Mit Frauenfiguren, die von den bis dahin üblichen Klischees abwichen. Der Frauenkrimi entstand. Und im Zuge dessen machte auch eine Reihe von neuen, taffen Heldinnen auf sich aufmerksam.

Autorinnen wie Barbara Wilson, Lauren Wright Douglas, Katherine V. Forrest und Claire McNab gingen nämlich einen Schritt weiter. Sie schufen lesbische Protagonistinnen und waren mit diesen Spannungsromanen erfolgreich. Mehr noch, auch die Verfasserinnen selbst zeigten sich selbstbewusst, versteckten ihr Lesbischsein nicht. Viele von ihnen sind heute vergessen, möglicherweise, weil sie häufig feministische Themen behandelten, die für die heutige Leser*innengeneration nicht mehr im Vordergrund stehen. Eine, die es aus der Nische Lesbenkrimi heraus auf die weltweite Bühne der Kriminalliteratur geschafft hat, ist Val McDermid, deren Bücher heute bei großen Publikumsverlagen veröffentlich werden. Zwar nicht mit ihrer lesbischen Heldin Lindsay Gordon, queeres Leben kommt in ihren Krimis dennoch weiterhin vor.

Die Pionierinnen der Lesbenkrimis im deutschsprachigen Raum

Es waren hauptsächlich die US-Amerikanerinnen, die voranpreschten. Dass sie für den deutschsprachigen Markt übersetzt wurden, war einigen mutigen kleinen Verlagen zu verdanken. Allen voran Ariadne bei Argument, Frauenoffensive und Daphne. Else Laudan, die legendäre Lektorin und Verlegerin von Ariadne sagte dazu: „Unsere Utopie war: Krimis als Lesegenuss und zugleich politische Reflektion, als feministische Landgewinnung in der Kultur. Die Leserinnen reagierten prompt, unfassbar zahlreich (…) und forderten in Massen sofort den Ausbau der radikalsten Form: Sie wollten vor allem Lesbenkrimis, in denen das Weibliche als stark gefeiert wird und Männer dafür obsolet sind, sogar in der Liebe, im Sex. Das fanden sie befreiend! Das wollten sie von uns (…) Ariadne wurde ein Riesenerfolg.“[1]

Zum Erfolg der Lesbenkrimis haben sicherlich auch die Frauenbuchläden beigetragen, in denen die geneigte Leserin für jedes Thema des Frauseins genügend Futter fand, eben auch Lesbenkrimis, von denen der stationäre Buchhandel damals vielerorts gar nichts zu wissen schien.

Queere und lesbische Krimis im deutschsprachigen Raum

Immer mehr Verlage mit Schwerpunkt auf weiblichem, feministischem, lesbischem, queerem Buchrepertoire wurden seither gegründet. So Ulrike Helmer, Quer, Main, Butze, Ylva,
Krug & Schadenberg (der einst Daphne übernahm, aber dieses Jahr seine Pforten schloss). Nur um einige zu nennen. Auch große Publikumsverlage haben das Thema für sich entdeckt, aber eher leise. Gleichzeitig trat eine neue Generation von deutschsprachigen Autorinnen in Erscheinung, die lesbische Literatur und Krimis schreiben, darunter viele Selfpublisherinnen. Heute bieten Krimis über lesbische Heldinnen mit Sex & Crime, Cosy Crime, Romantikthrillern oder traditionellen Ermittlungsplots für jeden Geschmack etwas. Sie sind anerkannt und werden unabhängig von Geschlecht, Lebensweise und sexueller Orientierung gelesen. Die feministische Seite des Lesbenkrimis, die immer verbunden war mit der Frauenbewegung der 1970-er und 1980-er Jahre, hat dabei an Bedeutung verloren. Dennoch ist das Genre nicht überflüssig geworden. Denn eines hat sich nicht verändert – wir alle brauchen Identifikationsfiguren für buntes Leben und Lieben. Wo könnte man sie besser finden als in der Literatur. Else Laudan meint dazu. „Eigentlich braucht jede nachwachsende Generation von Frauen und Lesben (…) ebensolche Krimis und Romane etc., in denen sie Identifikationsangebote abseits der heteronormativen Glücksversprechen finden. Weil das stärkt und verbindet und gegen die Einsamkeit hilft, die alle Personen bedroht, welche in der Mainstream-Norm nicht gut aufgehoben sind.“

Brauchen wir noch Lesbenkrimis?

Lesbenkrimis als Subgenre und Suchbegriff sind weiterhin wichtig, damit Leser*innen finden, was sie suchen. Gleichzeitig wird davon abgegangen, jeden Krimi mit einer lesbischen Hauptfigur so zu nennen. Weil es selbstverständlicher geworden ist und keine Etikettierung mehr benötigt. Dennoch – in Zeiten, in denen vielerorts die schrillen Töne gegen jede Art von queerem Leben wieder beängstigend laut werden, ist es umso wichtiger, da, wo es möglich ist, die Vielfalt des Lebens und Liebens auch in Krimis zu zeigen. Der Pride Month soll jedes Jahr ein Zeichen dafür setzen. Wir können mit jedem Buch, das wir schreiben und mit jedem Buch, das wir lesen, jederzeit ein Zeichen dafür setzen.


[1] Rede anlässlich des Symposiums „Am Herrschaftsknoten ansetzen“ zum 75. Geburtstag von Frigga Haug am 15. März 2013