Vermisst! Entführt! Gefangen! IV und letzter Teil

von Susanne Rüster

 

Die Frau ist in einem Keller. Gefangen. Jetzt geht es um den – zum Glück erlösenden - Schluss.

Schritte nähern sich, einer ihrer Entführer bringt Essen, sie würgt ein paar Bissen hinunter. Gleich steht das nächste Foto bevor. Zum Beweis: Sie ist noch am Leben. „Wann komme ich hier raus?“, fragt sie den Maskenmann. „Ich habe ein Flugticket auf die Kanarischen Inseln.“ Frei erfunden. Sie will drauflos reden. Sie hat gelesen, dass das Opfer das persönliche Gespräch mit den Kidnappern suchen solle. Um bei ihnen Hemmungen hervorzurufen, sie zu töten. Der Maskenmann antwortet nicht. Zieht die Tür ins Schloss, dreht den Schlüssel.

Die Polizei

Riesiger Druck auch hier. Die Lage ist chaotisch und dynamisch, es fehlen nötige Informationen, unter großem Zeitdruck muss entschieden werden. Handeln die Täter*Innen rational und kontrolliert? Sind sie psychisch labil? Sogar bereit, Menschen zu töten?

Psychologisch geschulte Berater versuchen, die Angehörigen zu beruhigen und vom Geschehen fernzuhalten. Ruhelose Angehörige wollen selbst verhandeln, das Geld überbringen, obwohl sie psychisch nicht in der Lage sind, klar zu denken und Anweisungen der Entführer*Innen zu befolgen. Eine Panne und es kann zur Kurzschlussreaktion auf der Gegenseite kommen. 

Sie läuft im Verließ auf und ab, kann Angst und Unruhe kaum mehr beherrschen. Wie lange noch? Wie hoch ist die Forderung? Wer zahlt für sie?
Draußen quäkende Funkgeräusche, sie versteht nichts. Wachsende Verzweiflung. Was, w
enn die Polizei dazwischenkommt, wenn kein Lösegeld gezahlt wird, wenn die Übergabe schief läuft?

Die Lösegeldübergabe

Die gefährlichste Phase. Eine regelrechte Schnitzeljagd beginnt, zahlreiche Anweisungen, wechselnde Kommunikationswege, so wollen die Entführer*Innen verhindern, dass die Übergabe durch die Polizei gestört wird. Das Opfer erfährt hiervon nichts, es muss abwarten. Die Zeit ist die Waffe der Entführer*Innen. Zeit, die still zu stehen scheint.

Der Kurier

Der/die Überbringer/in kann getarnte Polizei oder jemand Nahestehendes sein, die Hauptsache sind eiserne Nerven. Werden die Weisungen befolgt, ist der Dienst relativ ungefährlich. Der Befehl zum Ablegen des Lösegeldes ("drop") kommt nach längeren Irrwegen oft überraschend und meist bei Dunkelheit.

Sie steht das nicht mehr durch. Schweiß bricht aus. Sie beginnt zu schreien.

(Auf das sog. Stockholm-Syndrom, eine psychologische Besonderheit, die bewirkt, dass entführte Menschen Sympathien und Verständnis für die Täter*Innen empfinden und eine Beziehung zu ihnen aufbauen, wird hier nicht weiter eingegangen. Info hierzu:

https://www.portal-der-psyche.de/gesunde-psyche/erkrankungen/stockholm-syndrom.html)

Die Entführer*Innen

Panikattacke. Jede Geisel ist anders, manche brauchen halt eine Pille. Zugegeben, die Übergabe läuft schleppend. Hat der Kurier die Anweisung nicht befolgt? Ist Polizei im Hintergrund? Wäre dumm, schon wegen der Frau im Keller.

Sie kann nicht mehr schreien, nicht mehr weinen. Tiefe Hoffnungslosigkeit. Sie schläft ein nach der Pille, die sie ihr gegeben haben.

Die Entführer*Innen

Der Geldzugriff erfolgt kurz nach dem Ablegen der geforderten Beute. Haben sie das Geld, bringen sie sich erst in Sicherheit. Dann wird die Beute auf Echtheit, Vollzähligkeit, ev. Fallen untersucht, anschließend untereinander verteilt. Entführer*Innen wissen, dass das Geld zwar in der Regel echt ist, aber registriert, oft auch präpariert. Werden sie nicht gefasst, bringen sie das Geld in den Verkehr, meist in Form von Geldwäsche.

Die Polizei

Selten wird das Opfer zugleich mit der Lösegeldübergabe freigelassen. Meist vergehen Stunde, sogar Tage, zermürbend. Alle Szenarien, alle Handlungsabläufe sind eingeübt. Trotzdem kann es passieren, dass das Geld einkassiert und eine neue Forderung gestellt wird. Es kann passieren, dass die Täter*Innen das Lösegeld nehmen und die Geisel trotzdem töten oder nach der Flucht unversorgt irgendwo liegen lassen.

Sie wird aus dem Keller gezerrt, die Augen verbunden, ins Auto gebracht. Aus dem Nebel der Beruhigungsmittel kriecht die Angst hoch: Ist das Versteck entdeckt? Wird sie woanders hingebracht, um getötet zu werden?
In einer einsamen Gegend wird sie abgesetzt. Ehe sie ihre Augenbinde abnimmt, sind die Täter*Innen längst weg. Sie ist zu schwach, irgendwohin zu laufen, weiß nicht, wo sie ist. Am Straßenrand bricht sie zusammen.

Die Betreuung danach

Sie wird gefunden, ins Krankenhaus gebracht. Die neugewonnene Freiheit beginnt mit einer psychotherapeutischen Behandlung wegen posttraumatischer Belastungsstörung. Nach und nach arbeitet sie sich mithilfe ihrer Psychotherapeutin und ihrer starken Natur zurück in ein Leben ohne Angst.

Infos:

https://www.planetwissen.de/gesellschaft/verbrechen/bankraub/pwiesoverhaltensiesichalsgeiselambesten100.html