Drei Fragen an ... Turid Müller

15.07.2024 – Turid Müller hat gerade ihren ersten Kriminalroman „Im Schatten der Insel“ veröffentlicht. Warum sie sich dabei dem Thema Kinderverschickung gewidmet hat, erklärt sie im Interview.

Vor Kurzem ist mit "Im Schatten der Insel" dein erster Kriminalroman erschienen. Der Krimi wird als Urlaubslektüre angekündigt, er spielt auf Amrum, befasst sich allerdings mit schicksalshaften Themen wie Demenz und Kinderverschickung. Was erwartet deine Leser:innen?

Mir ist jetzt schon vielfach von Menschen, die normalerweise keine Krimis lesen, rückgemeldet worden, dass es bei diesem Krimi anders ist. Ich denke, das liegt daran, dass er zwar die Spannung hat, die ein Kriminalroman braucht. Aber er hat eben noch mehr. Zum Beispiel eine ebenso humorvolle wie berührende Haupthandlung und packende Rückblicke in die Zeit der Kinderverschickung.
Bis in die 1980er/1990er Jahre hinein gab es diese Verschickungen. Viele Kinder sind von ihren Familien angemeldet worden. Für eine gar nicht so kleine Zahl von ihnen ist das, was als Ferienfreizeit und Kur geplant war, zu einem Albtraum geworden, der ihr Leben für immer verändert hat - und damit auch das ihrer Nachkommen. Denn wenn wir die Knoten unserer Vergangenheit nicht lösen, geben wir unsere Traumata an die nächste Generation weiter.
Das war auch ein bisschen meine Agenda beim Schreiben: Der Kriminalfall sollte Kristallisationspunkt sein, um für dieses historische Trauma zu sensibilisieren. Und für das Thema Demenz, das uns in der Beziehung der Hauptfigur Lale zu ihrer Mutter begegnet. Als diese pflegebedürftig wird, zieht Lale in ihr altes Kinderzimmer – eine Herausforderung für alle Beteiligten!

Wie bist du auf das Thema Kinderverschickung gekommen? Warum ist dir dieses Thema ein Anliegen?

Meine Mutter ist als Kind verschickt worden. Sie war noch sehr klein. Zum Glück ist ihr all das, worum es in meinem Buch geht, erspart geblieben. Aber immer, wenn wir in den traditionellen Familienurlaub nach Amrum fuhren, hat sie mir von der Fähre aus das Föhrer Kinderheim gezeigt, in dem sie war. Als vor ein paar Jahren endlich der gesellschaftliche Aufarbeitungsprozess in Gang kam, habe ich das natürlich mit Interesse verfolgt. Unfassbar viele Menschen haben in ihrer Kindheit im Rahmen der Verschickung traumatische Erfahrungen gemacht. Ich hatte einfach den Wunsch, den Austausch darüber zu fördern.
tiefen Begegnungen bei meinen Lesungen und die berührenden Nachrichten von Lesenden zeigen mir, dass das gelingt. Plötzlich suchen Angehörige das Gespräch über das, was war. Ich glaube, das ist sehr wichtig, damit ein Stück weit heilen kann, was passiert ist. Und damit wir als Gemeinschaft aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, und Gerechtigkeit wiederherstellen. Die Leiden der Betroffenen anzuerkennen, ist ein erster Schritt.

Du bist Diplom-Psychologin und auch Sachbuchautorin. Wie war es für dich, jetzt einen fiktiven Kriminalroman zu schreiben? Gab es einen Unterschied in der Arbeitsweise?

Die Psychologin in mir hat wohl auch beim Krimi ein bisschen mitgeschrieben. Genau wie beim Ratgeber schreiben die Kreative in mir Wert auf Witz und flockige Lesbarkeit legt. Meine literarischen Welten mischen sich also. Und das ist gut so.
Fiktion ist übrigens genauso meine berufliche Heimat wie Sachlichkeit. Ich bin nämlich nicht nur Psychologin, sondern auch Schauspielerin bzw. Musikkabarettistin. In diesen Rollen schreibe ich Theaterstücke, Musicals, Songs und Kleinkunstprogramme – also Fiktion.
Ehrlich gesagt, tut es mir gut, meine Fantasie spazieren gehen zu lassen. Ich mag den Prozess des Recherchierens. Auch für »Im Schatten der Insel« habe ich viele Quellen gewälzt, um die historischen Hintergründe zu durchdringen. Aber dann etwas draus zu machen, das den Kopf über den Umweg des Herzens erreicht, das gibt mir viel. Und ist auch ein gutes Gegengewicht zu meiner Arbeit im Bereich Narzissmus & Toxische Beziehungen. Im Coaching höre ich zu. In meinen Romanen kann ich erzählen.

Zum Autorinnenprofil von Turid Müller.
Homepage: www.turid-mueller.de
Die Fragen stellte Sybille Baecker.