Fragen an ... Nicole Eick

15.03.2025 - Nicole Eick, Sozialpädagogin und Krimiautorin, beleuchtet in ihrem für den Glauser-Preis nominierten Roman „Wenn der Engel kommt“ die düsteren Abgründe menschlicher Schicksale und die komplexe Dynamik von Täter und Opfer. Mit authentischen Einblicken aus ihrer beruflichen Erfahrung und unerwarteten Wendungen hält sie die Spannung bis zur letzten Seite aufrecht.
Du bist für den Glauser-Preis nominiert, liebe Nicole: Zunächst ganz herzlichen Glückwunsch! Wer deinen Roman "Wenn der Engel kommt" liest, kann sich gut denken, warum. Starke Themen wie Verwahrlosung und Gewaltentwicklung, Liebe und Hass, der Pflegenotstand: welcher Komplex hat dich am ehesten dazu bewegt, darüber zu schreiben? Oder war es etwas ganz anderes?
Schwer zu sagen. Ich bin ja im Brotberuf Sozialpädagogin gewesen und habe im Lauf meines Berufslebens mit allen Schattierungen sozial problematischer Lebensläufe zu tun gehabt. In meinen Romanen und Krimis geh ich der Frage nach: Was ist im Leben eines Menschen passiert, dass sie oder er zur Täter*in wird? Und warum schafft es ein anderer Mensch, sich selbst aus dem Sumpf zu ziehen? Im aktuellen Krimi: Was passiert, wenn ein Mensch mit einer Gewaltbiografie ausgerechnet in der Pflege arbeitet? Jemand, der hilfsbedürftig im Bett liegt und sich nicht wehren kann, scheint ein ideales Opfer zu sein … Ich habe das leider in meiner Funktion als Sozialdienstleiterin im Krankenhaus selbst so mitbekommen. Wichtig finde ich allerdings eine gesunde Distanz zu solchen Fällen – wer in einem Buch nur private Schicksalsschläge verarbeiten will, ist nicht gut beraten.
Wie hat dich deine frühere Tätigkeit bei verschiedenen sozialen Einrichtungen dafür sensibilisiert und welche persönlichen oder gesellschaftlichen Beobachtungen haben dich besonders dazu inspiriert, dieses Buch zu schreiben?
Durch den Krimi ziehen sich die Lebensläufe zweier Mädchen, die beide nicht gerade aus privilegierten Familienverhältnissen stammen. Ich kenne solche Biografien zur Genüge aus der sozialen Arbeit – sowohl aus der Arbeit mit Frauenhausbewohnerinnen und ihrer Kinder als auch der Beratung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Es geht mir auch gar nicht darum, eine Entschuldigung dafür zu finden, warum jemand irgendwann zur Täter*in wird. Sondern einfach darum zu verstehen, warum es so ist. Eine junge Frau ist mir gut im Gedächtnis geblieben – sie wurde als Kind und Jugendliche mehrfach vom Stiefvater missbraucht, hat sich ständig selbst verletzt, landete mehrfach in der Psychiatrie, wurde dann ungewollt schwanger und fühlte sich nicht in der Lage, dem Kind Liebe und Geborgenheit zu geben. Woher auch? Hier ist die Gesellschaft gefragt, aufmerksam und sensibel zu sein. Im Krimi stürzt das eine Mädchen ab, das andere schafft’s – vielleicht.
Welche Bedeutung hat das Engelmotiv in deinem Roman? Siehst du Entsprechungen in der Opfer/Täter-Dynamik? Welche Botschaft hoffst Du, den Lesern über Macht, Verletzlichkeit und Schuld zu vermitteln?
Das „Engelmotiv“ will lediglich sagen, dass nicht jeder, der als vermeintlicher Engel daherkommt, auch einer ist. Im Bereich der Pflege wirkt sich das natürlich fatal aus – denn gerade hier erwarten Hilfsbedürftige zu Recht eine zugewandte Person, einen „Engel“ in Menschengestalt. Ich bin überzeugt, dass Täter*innen zuvor auch immer Opfer waren – Opfer eines Systems, einer Religion, anderer Menschen. Wie gesagt, das ist keinerlei Entschuldigung. Ein Verbrechen muss Strafe nach sich ziehen und vor allem Auseinandersetzung mit der Straftat. Ich bin überzeugt, dass nahezu jeder Mensch zu einer Gewalttat fähig ist – bei unmittelbarer Bedrohung, im Krieg, leider … Ich bin gerade Schöffin am Amtsgericht und verzweifle manchmal an der scheinbaren Unauflösbarkeit von Gewaltspiralen.
In deinem Roman gibt es viele unerwartete Wendungen und komplexe Beziehungen. Wie gehst du beim Plotten deiner Geschichten vor, um sicherzustellen, dass die Spannung bis zur letzten Seite aufrechterhalten bleibt?
Jetzt fühle ich mich ertappt – ich bin furchtbar schlecht im Planen und Plotten. Ja, ich habe eine ungefähre Vorstellung, wo es im Krimi hingehen soll. Aber alles bis ins Detail zu planen, fände ich furchtbar langweilig. Ich setze mich einfach hin und schaue, was meinen Figuren so einfällt und wo sie die Handlung hintreiben. Es ist auch schon passiert, dass sich jemand ganz anderes als Täter entpuppt als zuvor gedacht. In der Regel versuche ich zumindest an jedem Abschnittsende eine Art Cliffhanger einzubauen – damit die Spannung erhalten bleibt. Ansonsten schreibe ich die gesamte Handlung, ohne zu viel nachzudenken. Die Feinjustierung erfolgt dann erst in der Überarbeitung.
Zum Autorinnenprofil von Nicole Eick .
Homepage: https://nicole-eick.de
Die Frage stellte Sabine Griebel.

Aktuelle Neuerscheinung:
Wenn der Engel kommt
Nicole Eick
edition tingeltangel München
ISBN 9783944936734