Drei Fragen an ... Rita Janacek

15.06.2025 - Mit Rita Janaczek, einer der Mörderischen Schwestern, die für den Glauser-Preis 2025 nominiert war, führte Sabine Griebel ein Kurzinterview, in dem uns die Autorin verrät, wie sie der dunklen Seite der Wirklichkeit ihre Geschichten abringt, welche starke Rolle Loyalität zur Familie spielt und wie sie vom bloßen Busfahren inspiriert wird.
Deine Erzählungen offenbaren oft die versteckten Abgründe des Alltags. Glaubst Du, dass Krimigeschichten dabei helfen können, Themen wie familiäre Lasten oder soziale Ungerechtigkeiten sichtbar zu machen? Gab es ein Schlüsselereignis in Deinem Autorinnenleben, das Dich bewog, Geschichten festzuhalten?
Die dunkle Seite hat mich bereits im Kindergartenalter fasziniert. Geschichten geistern, seit ich denken kann, durch meinen Kopf. Die Wirklichkeit ist voller Abgründe, viele bleiben im Verborgenen. Nach dem Studium der Sozialarbeit habe ich mein Anerkennungsjahr in einem Heim für gravierend verhaltensauffällige Mädchen gemacht. Hier ballten sich Lebensgeschichten, die von Vernachlässigung, Drogen, Gewalt und Missbrauch sprachen. Viele der Jugendlichen hatten eine betonharte Schale und einen zarten, zerrissenen Kern. In meiner späteren Arbeit in Familien ging es ebenfalls um diese Themen. Heute arbeite ich nicht mehr in der Sozialarbeit. Mir fehlte irgendwann der professionelle Abstand, besonders zum Leid der Kinder. Meine beruflichen und privaten Erfahrungen fließen immer in irgendeiner Form in meine Geschichten ein, mal mehr, mal weniger. Im Moment des Lesens werden die Themen sichtbar.
In Deinen Kurzkrimis spielen psychologische Abgründe eine große Rolle. Wenn Du einen Deiner Protagonisten auf eine Therapiestunde schicken könntest, was glaubst Du, wäre das Erste, was er oder sie dem Therapeuten erzählen würde?
Selina aus „7 Minuten vor Mitternacht“ sehe ich in einer Therapiestunde zunächst kurz verhandeln. Das Jugendamt soll außen vor bleiben. Ihre größte Angst ist es, den Kern ihrer Familie, Mutter und Benny, durch eine Unachtsamkeit zu verlieren. Sobald sie sich sicher fühlen kann, würde sie sprudeln wie ein Wasserfall. Doch nicht ihre eigene Situation käme auf das Tablett, sondern die ihrer Mutter. Selina will ja helfen. Sie ist schon sehr lang in diesem Konstrukt gefangen, in dem sie diejenige ist, die die Familie so gut sie kann schützt, sich kümmert und dann noch alles vor der Außenwelt verschleiert. Sie sorgt sich mehr um andere als um sich selbst. Ein einfühlsames Gegenüber würde sie behutsam auf ihre eigene Spur führen.
Selina trägt eine enorme Last in der Geschichte. Woher stammt Deine Fähigkeit, die Zerbrechlichkeit und Stärke von Charakteren so intensiv zu vermitteln?
Eine Seite ist die Beobachtung, dazu hatte ich während meiner Tätigkeit als Sozialarbeiterin genug Gelegenheit. Aber Beobachtung ist nicht auf das Berufliche beschränkt. Jeder Tag, jeder Moment bietet die Gelegenheit, Eindrücke in sich aufzunehmen. Ich fahre mit dem Bus zur Arbeit. Allein diese halbe Stunde bietet eine unerschöpfliche Quelle für Inspiration. Entscheidender ist aber eine gewisse Sensibilität und die Fähigkeit, sich in Situationen einzufühlen. Ich nehme auch feine Schwingungen wahr und habe insgesamt einen großen Speicher an positiven und negativen Empfindungen aus meiner Kindheit, Jugendzeit und als junge Erwachsene. Beim Schreiben kann ich sie abrufen und ihnen sehr lebendig nachspüren.
Homepage: www.janaczek.de
Die Fragen stellte Sabine Griebel.

Aktuelle Neuerscheinung:
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Rita Janacek
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