Vom Widum bis zum Zwergabriggli: Lesung über Stock und Stein

von Katharina Eigner

Ischgl hat Shitstorms und Presse-Starkregen hinter sich, aber eines muss man dem Dorf lassen:

die Krimi-Wanderung sitzt!

Eine exquisite Veranstaltung, bei der schon Berhard Aichner und Tatjana Kruse gelesen haben.

Wer sich zutraut, statt Hallen auch Wälder mit Krimis zu beschallen, ist hier richtig, denn wer Sommers in Ischgl liest, liest outdoor. Zumindest 2/3 der Zeit.

Zu meiner Freude über die Einladung mischten sich Bedenken. Womöglich würde ich vom Geplätscher eines Gebirgsbaches übertönt? Von der Höhensonne verbrannt? Von einer herabstürzenden Seilbahngondel getroffen? Schlimmstenfalls würden sich gelangweilte ZuhörerInnen bei den Wanderstrecken unauffällig verkrümeln, aber das musste ich in Kauf nehmen.

Die Autorin von Welt wählte also Bergschuhe statt High Heels, frischte ihren Impfschutz gegen Zecken auf und begab sich ins enge Paznauntal.

Start und zugleich Ziel der Krimi-Wanderung war das alte Widum (ehemaliges Pfarrhaus) des Dorfes. Wanderlustige Bücherwürmer und die Autorin dieser Zeilen versammelten sich dort im Sommer 2022, um das erste Etappenziel der Wanderung in Angriff zu nehmen: das Zwergabriggli (Zwergen-Brücklein), gut zwanzig Minuten Genusswandern entfernt.

Die Strecke war taktisch klug gewählt: steil genug, um nicht als Spaziergang durchgehen zu können, flach genug, um als Autorin nicht vor dem Publikum zu kollabieren.

Das Zwergabriggli ist ein idyllischer Kraftplatz im Wald mit Holzbrücke im Zwergenformat. Rundgeschliffene Felsbrocken und moosiger Boden als Sitzplätze, der Soundtrack der Natur im Hintergrund; mehr braucht’s nicht, um das Publikum zu erreichen. Dass ich trotzdem auf Mikrofon und Lautsprecherbox zurückgreifen durfte - und das inmitten der Fauna - war purer Luxus.

Der Wald zerstreute alle meine Zweifel: das Lesen ist hier im unvergleichlich. Der Alltag wird ausgeblendet, Hektik und Nervosität verschwinden von selbst, man ist fokussiert aufs Wesentliche.

Die zweite Lesestelle war wieder gute zwanzig Wanderminuten über schmale Wurzeln und Waldwege entfernt. Trail-Reading, sozusagen, bei dem ich mich selbst um meine Bergschuhe beneidete. Immer die würzige Waldluft in den Lungen und das Ziel vor Augen: das alte Widum.

Im Steinturm mit knorrigen Holzdielen, wo noch vor Jahrzehnten die Pfarrersköchin den Kochlöffel geschwungen hat, ist die Ischgler Bibliothek zu Hause. Hier war das Publikum ein drittes und letztes Mal ganz Trommelfell, danach füllte die Ischgler Gastronomie die leeren Kalorienspeicher aller Beteiligten wieder auf. Meine Zweifel, ich müsste im sommerlich leeren Tourismusort Ischgl hungrig zu Bett gehen, waren endgültig vom Tisch.

Fazit: nicht jeder denkt bei Literatur an Ischgl. Aber wer dort Krimi-wandert, denkt gern daran zurück.