Unser Glück mit Neustart Kultur

von Susanne Rüster

Unser Glück mit Neustart Kultur

Corona-Pandemie und schwarze Gedanken: Gibt es uns Mörderische Schwestern noch - als vor Publikum lesende Krimiautorinnen? Ausgefallene Lesungen und bald entfällt auch der optimistische Aufkleber: „Verschoben! Neuer Termin in Kürze!“ Der Gedanke, in Klausur Geschriebenes live vorzustellen, rückt in weite Ferne. Umso mehr trifft ein sperriger Begriff, den eine Berliner Schwester im Online-Meeting in den Raum wirft, auf offene Ohren: „Strukturförderungsprogramm des Deutschen Literaturfonds - NEUSTART KULTUR“!  Das Rettungs- und Zukunftsprogramm der Bundesregierung, um literarische Veranstaltungen zum Leben zu erwecken.


Unser persönliches Rettungsprogramm:

1. Phase

Skepsis rundum. Unsere Schwester hat den Tipp aus Kreisen der Schriftstellervereinigung des PEN („Poets, Essayists, Novelists“), dessen Mitglied sie ist. Der altehrwürdige Schriftstellerverband (ungeachtet aller Streitigkeiten in jüngster Zeit) und wir Krimi-Autorinnen unter einem Förderungsschirm?

Warum eigentlich nicht? Rückfragen und ein mutiger Anruf beim Deutschen Literaturfonds e.V. ergaben: Krimi-Förderung? Warum denn nicht, gerne, es geht uns um Vielfalt.

Also ans Werk. Unsere Schwester Heidi Ramlow, erfahren aus ihrer Berufstätigkeit in der Regieassistenz und mit Förderanträgen, machte sich an einen Antrag für einen Frauen-Krimi-Tag im September 2021. Unsere Event-Location: Ein ehemaliges Frauengefängnis.

Die Projektbeschreibung: Weg von der reinen Lesungsveranstaltung hin zu einem innovativen und interaktiven Konzept aus Vorträgen, Lesungen, Gespräch, Poetry Slam, Tombola. Eingebunden werden Dozent*innen für Kriminalistik, kreatives Schreiben, Musiker*innen, Schauspieler*innen. Und immer unser Vereinsziel im Blick: Die Förderung und Verbreitung der von Frauen verfassten deutschsprachigen Kriminalliteratur.

Der Finanzierungsplan: Wir bekommen einen Schreck. Bei realistischem Ansatz von Autorinnen- und Moderatorinnen-Honoraren, Vorträgen, Musik, Raummiete, Werbungskosten, Abgaben (GEMA, KSK) kommen wir auf Gesamtkosten von 13.000 €. Egal, frisch gewagt ist halb gewonnen. Auf unseren Antrag von August 2020 erhalten wir bereits sechs Wochen später den Fördervertrag über 10.750 €. Mir als den Vertrag unterschreibende Regio-Schwester ist mulmig. Was ist, wenn wir die Förderungsbedingungen nicht ordentlich erfüllen? Mein Albtraum: Das ganze Geld ausgegeben, und Neustart Kultur will alles zurückhaben? Bin ich als Vertragspartnerin in der Haftung? Für 10.750 €? In meinem Schreck bemerke ich zunächst nicht, dass ein Betrag von 2.250 € unserer geplanten Kosten nicht abgedeckt ist. Also nochmal Mut fassen. Wir arbeiten akribisch die Bedingungen ab. Es steht im Fördervertrag genau drin, was gefördert wird. Kosten für Werbung, technische Betreuung, Musik, Gema gehören meist nicht dazu (variiert von Förderung zu Förderung). Was tun? Wir haben sie aus Eigenmitteln (Eintrittsgelder, Schwesternkasse, Spenden) bestritten, wobei alle Akteure*innen Beschränkungen in Kauf genommen haben, um bei einer größeren Veranstaltung dabei zu sein.

Der Zeitplan: Besichtigung des Veranstaltungsorts, Besprechung mit den Betreibern der Event-Location (Bühne, Bestuhlung, Verköstigung.). Auswahl der lesenden Schwestern. Sponsoren suchen, Pressemitteilungen schreiben, Technik planen (kann eine Schwester die  technischen Anlagen bedienen?  Wie viele Mikrofone? Wollen wir ein Video der Veranstaltung drehen? Wer fotografiert?), Werbematerialien entwerfen und in Druck geben, Fototermin mit den Teilnehmerinnen vor Ort, Postings in den sozialen Medien.


2. Phase

Unser großer Tag. Mithilfe eines Mitarbeiters stellen wir zuvor Bühne, Bestuhlung, Technik, Dekoration bereit, befestigten Schwestern-Plakate aus früheren Lesungen an den Wänden, um auf unsere Aktivitäten aufmerksam zu machen. Wer nicht an der Vorbereitung teilgenommen hat, muss am Veranstaltungstag Dienste übernehmen, Büchertisch, Kasse, Corona-Maßnahmen kontrollieren. Unmittelbar vor Beginn: Die Musikerin und die beiden Moderatorinnen machen sich bereit. Die Lesenden sind glücklich und aufgeregt: Wieder auf der Bühne stehen - und Geld damit verdienen.

Die Mörderischen Schwestern sind endlich wieder sichtbar, ganz real und nicht nur digital!


3. Phase

Die lästige Abrechnung. Das Formular von Neustart Kultur („geplante Ausgaben, Soll, tatsächliche Ausgaben, Ist, geplante Einnahmen, Soll, tatsächliche Einnahmen, Ist, Endabrechnung, Restbestand/Mehrausgaben) unterscheidet sich deutlich von unserem Zettel mit aufaddierten Einnahmen und Ausgaben. Die vielen Belege (Honorarverträge, Miete, Anschaffung Technik, Werbekosten etc). Nochmal Angst, dass die Belegprüfung beim Deutschen Literaturfonds zu Beanstandungen führt. Rückforderungen?! Endlich aufatmen:  Nichts wird beanstandet. Keine Fördergelder müssen zurückgezahlt werden.

Wir haben Mut gefasst: Ein weiterer Antrag von Januar 2022 für eine Ladies Crime Night im November wird genehmigt und dann auch - aufgrund der Verlängerung der Antragsfrist auf Januar 2023 - unser dritter Antrag auf Förderung eines Krimi-Marathons am 3./4. Juni!

Ja, wir Mörderischen Schwestern sind nach der Corona-Pandemie wieder da. Unsere Autorinnen haben ihre Werke öffentlich vorgestellt und sind anständig bezahlt worden. Neustart Kultur wird leider vermutlich keine „Tausend literarischen Wiederbegegnungen“ mehr fördern. Aber wir haben viel gelernt über das Aufspüren von Fördermöglichkeiten, Antragstellung, Organisation und Durchführung großer Veranstaltungen.

Zum Schluss das Wichtigste: Wir haben wieder unser Gemeinschaftsgefühl entdeckt, Teamarbeit geleistet und unsere Sichtbarkeit erhöht.