Die Leipziger Buchmesse 2023 – ein Festival des gedruckten Buches

von Susanne Rüster

 

Offensichtlich ging es den 274.000 Besucher*innen wie mir: Sie hat uns gefehlt, die Leipziger Buchmesse!

Nach drei Jahren Abstinenz quetschte ich mich erwartungsfroh in die übervolle Straßenbahn und ließ mich mit der Menge durch die Messehallen treiben. An den Verlagsständen, bei Vorträgen, aktuellen Debatten, Bildungsworkshops undAutorenlesungen bildeten sich Menschentrauben und die Übergänge zwischen den Hallen wurden am Wochenende zeitweise wegen Überfüllung gesperrt. Die Menschen feierten die Rückkehr in die hautnah erlebbare Literatur. 2.082 Aussteller*innen, Verlage aus 40 Ländern sowie mehr als 3.200 Mitwirkende aus aller Welt belebten nach offizieller Mitteilung die Buchmesse.

Ergänzt wurde das Angebot durch neue Formate wie die #buchbar („Auf einen Kaffee mit dem Publikum – Gespräche zwischen Leser:innen und Autor:innen am langen Tisch“) und das Forum „Offene Gesellschaft“. Hier diskutiertenAutor*innen, Politiker*innen, Wissenschaftler*innen, Journalist*innen über gesellschaftlichen Fragen. Der JugendCampus UVERSE bot Workshops, interaktive Formate, Medienerlebnisse für Besucher:innen zwischen 10 und 22 Jahren, dazu Rap, Lyrik, Poetry Slam, Theater, Tanz, Streetart – alles sehr gut angekommen, wie die hohe Anzahl von Kindern und Jugendlichen in den Hallen bewies. Am Ukraine-Stand trafen sich Autor*innen, Illustrator*innen, Kulturschaffende, Übersetzer*innen, um über die Literatur ihres Landes zu sprechen.

(Hinweis: Die unterschiedlich gegenderte Sprache wurde den offiziellen Messetexten entnommen).

Und mittendrin die Mörderischen Schwestern!

Da es so viel zu erleben gab, berichten diesmal als Gastautorinnen: Sabine Lettau-Tischel (Regioschwester Sachsen), Andrea Maluga, Maike Möller-Engemann (Berlin) und Franziska Franke (Mainz) über ihre Erlebnisse.

Andrea Maluga

Für dasOrga-Team der Mörderischen Schwestern begann die Messe am Mittwochabend mit dem Aufbau des Standes. Die Stimmung war gut und es wurden erste Kontakte zu den benachbarten Ständen des Bundesverbands junger Autoren und Autorinnen sowie des Selfpublisher-Verbandes geknüpft. Unser Gemeinschaftsstand mit dem „Syndikat“ lag gut sichtbar an einer günstigen Stelle benachbart zum Autorenforum, auf dem unsere Veranstaltungen stattfanden. Ab Donnerstag begann die Buchmesse offiziell. Unser Gemeinschaftsstand war immer mit fachkundigen Schwestern besetzt. Die Reaktion der Besucher war von Anfang an überwältigend. Viele Fragen zu den Mörderischen Schwestern, und das „Gesucht“-Schild wurde oft für Fotos genutzt. Ein Wermutstropfen war, dass die Krimisafari aufgrund technischer Probleme nur eingeschränkt stattfinden konnte.

Den Hut hatte das „Syndikat“ auf. Nicht unerwähnt sollte daher die informative und sehr gut besuchte Veranstaltung „Wie entsteht ein Buch - Vom Manuskript zum Ladentisch“ mit der Geschäftsführerin des Kinder- und Jugendbuchverlags Thienemann & Esslinger, Bärbel Dorweiler, und Julia Dösch von der Agentur Kossack bleiben, souverän moderiert vom Vorstandsvorsitzenden Jens Kramer.

Auch dieMörderischen Schwestern waren im Rahmen des Autorenforums Veranstalterinnen dreier Events (dazu unten die Beiträge von Franziska Franke und Maike Möller-Engemann).

Zum Ende der Messe fanden die von den Schwestern gespendeten Bücher reißenden Absatz.

Sabine Lettau-Tischel:

Die Regionalgruppen Sachsen und Berlin hatten sich zu einem gemeinsamen Projekt entschlossen und eine Ladies Crime Night im „Frauenzimmertheater“ in der Leipziger Innenstadt organisiert. Frauenpower von acht Mörderischen Schwestern – je vier aus den beiden Regios –, die in ihren Wettkampf gegen die Zeit traten und ihre neuesten Krimis vorstellten. Die Leipziger Musikerin Anna Gebel begleitete den Abend wunderbar sängerisch und musikalisch per E-Gitarre.

Von Seiten des Präsidiums waren Fachvorträge zur Leipziger Buchmesse gesucht, ein perfekter Anlass für die Regio Sachsen, um Kontakte zur Kriminalpolizei-Inspektion Leipzig zu knüpfen. Die Dezernentin für Zentrale Aufgaben Claudia Heinichen stellte sich für ein Interview mit Sabine Lettau zum Thema Kriminaltechnik zur Verfügung und beantwortete fachkompetent Fragen: „Was kann alles im Kriminaltechnischen Institut des LKA untersucht werden? Was ist ein 3D-Scan von Tatorten und bei welchen Verbrechen wird er am häufigsten eingesetzt? Was erzählen Blutspritzer oder Fasern am Tatort - wie werden diese gelesen? Welche Datenbanken werden zum Spuren-Abgleich herangezogen? Wie wird man eigentlich Kriminaltechniker?“ Mehr als einhundert Leute lauschten dem Gespräch, teilweise stehend oder auf dem Fußboden sitzend.

 

Franziska Franke

Frau Professorin Dr. Bettina Wahrig von der TU Braunschweig hielt einen gleichermaßen spannenden und unterhaltsamen Vortrag zum Thema „Literatur und Leidenschaft: Frauen begründen das professionelle Krimischreiben.“ In Beantwortung der Frage „schreiben und morden Frauen anders?“, räumte die Referentin mit dem gängigen Vorurteil auf, dass Frauen häufiger mit Gift mordeten als Männer; die Statistik spreche dagegen. Der Hauptteil des Vortrags war der britischen Kriminalautorin Dorothy L. Sayers (*13.06.1893, †17.12.1957) gewidmet. Auf den Vorwurf, warum sie den versnobten Lord Peter Wimsey als Ermittler an die Front geschickt habe, erwiderte die Autorin, dass seine Lordschaft Dinge besitze und tun könne, die ihr als Frau oder aus finanziellen Gründen verwehrt seien, etwa in einer luxuriösen Villa leben. Später stellte sie ihm die Kriminalautorin Harriet Vane zur Seite. Im Roman „Starkes Gift“ wird diese verdächtigt, ihren früheren Partner ermordet zu haben, eine Geschichte, die biographische Anklänge hat. Sayers zählte zu den Gründungsmitgliedern des „Detection Clubs“, der den Kriminalroman fördern sollte - eine Parallele zu den Zielen der Mörderischen Schwestern. Damit war der klassische Whodunnit- Krimi geschaffen, bei dem der Leser eine Chance hat, den Fall selbst aufzulösen. Seine Mitglieder mussten schwören, gewisse Regeln einzuhalten, u.a. nicht mehr als eine Geheimkammer pro Geschichte und keine unbekannten Gifte einzusetzen. Sayers irrte durchaus auch mal, als sie einen Täter durch den Unterschied zwischen synthetischem und natürlich vorkommendem Pilzgift überführen ließ. Allen Zuhörern des Vortrags wird wohl unvergessen bleiben, dass im Roman keine Chinesen auftreten durften. Professorin Wahrig endete mit einem Cliffhanger: Im Werk von Dorothy Sayers gebe es noch weitere für die Mörderischen Schwestern interessante Aspekte.

Maike Möller-Engemann

Nach einem schwungvollen Messestanddienst besuchte ich das Autorenforum, auf dem ein Panel über das Mentoring-Programm der Mörderischen Schwestern stattfand. Mentees können sich bei diesem Programm um ein Coaching durch eine schreiberfahrene Schwester bewerben und mit ihr ein Jahr lang an einem Projekt arbeiten. Das Angebot ist für sie fast kostenlos, lediglich 150 € sind an den Verein zu entrichten. Dass es bei den Schwestern - wie immer - sehr tolerant zugeht und es keine Altersbegrenzung gibt, spiegelte sich in der Auswahl der Panel-Teilnehmerinnen wider. Dort oben saßen die jeweils jüngste und älteste Mentee des diesjährigen Programms. Mit dabei waren auch die Mentorinnen Sabine Weiß und Diana Mensching. Beeindruckend wie es den Schwestern unter Moderation von Sonja Wolfer gelang, in der knappen Zeit von dreißig Minuten einen derart guten Einblick ins Programm zu geben. Wie finden sich Mentorin und Mentee? Über die gemeinsame Liebe zum vorliegenden Text natürlich. Wie funktioniert es, wenn man weit voneinander entfernt wohnt - Zoom? Telefon? Email? Und was kann Mentoring alles sein? Vom Finden der Anfängerfehler und des Recherchestopps bis hin zur Diskussion über Spannungsverlauf und Romanaufbau. Besonders hervorgehoben wurde die motivierende und strukturierende Wirkung des begleiteten Schreibens, mit der sich sicherlich viele der im Publikum sitzenden Kolleginnen identifizieren konnten. Auch was Mentoring nicht sein kann, wurde erwähnt: Lektorat oder Korrektorat. Insgesamt ein gut gelungenes und sehr informatives Panel mit sympathischen Schwestern auf dem Podium.

Das Lesefest ‚Leipzig liest‘

Es gab wohl in der gesamten Stadt keinen zum Lesen geeigneten Ort, der nicht in Beschlag genommen worden wäre. So eröffneten die Berliner Mörderischen Schwestern Andrea Maluga, Maike Möller-Engemann, Susanne Rüster, Nadine Teuber ihre Lesungen auf den Holzbänken der in einem alten Industriehof gelegenen urigen Weinhandlung „En gros en detail“. Der nächste Abend gehörte der Ladies Crime Night im entzückenden Frauenzimmertheater im dritten Stock eines Altbaus dicht am Hauptbahnhof, den die sächsischen Schwestern Cathrin Moeller, Thea Lehmann, A. C. LoClair, Jeannette Bauroth gemeinsam mit uns vier Berlinerinnen gestalteten. Eine Veranstaltung, bei der die Zuhörer*innen nach immer mehr Büchern zum Kaufen fragte. Ein Wunsch, dem die meisten von uns, erschöpft vom langen Messetag und vom Herumtragen von Proviant, Kleidung (drinnen warm, draußen kalt und abends das Schwarz-Rote nebst elegantem Schuhwerk) nicht nachkommen konnten. Schade.

Nicht unerwähnt bleiben sollte auch: Die Teilnahme am Leipziger Lesefest hängt davon ab, dass ein Verlag oder Veranstalter die Lesungen beantragt, sonst kommt man nicht ins Programm. Daher sei Dank dem Präsidium für unseren Stand!