Ladies Crime Festival in Rendsburg 8. bis 10. November 2024

Nicht nur die Umbenennung des Ereignisses weckte Aufmerksamkeit, sondern vor allem das von TransCrime ausgestaltete internationale Flair mit dem Auftritt der englischen Autorin Jessica J. Lee, Protagonistin im Bereich Creative Nonfiction Writing, eingebettet in ein vielseitiges Programm aus Workshops, Arbeitsgruppen, der Ladies Crime Night und gekrönt durch die Verleihung der goldenen Auguste an Fenna Williams und die Vorstellung der Stipendiatin Karin Müller (dazu unten). Zunächst hieß es, sich mittels Lageplans und Tür-Code im Nordkolleg mit mehreren Gebäuden und Ausgängen zurechtzufinden. Drumherum dunkler Wald und der schwarzbraune Nord-Ostsee-Kanal, der die auswärts wohnende Verfasserin veranlasste, sich abends in den einsamen Straßen mehrfach umzuschauen. Der Kanalmörder kam zum Glück nicht, dafür aber ab 20:00 Uhr auch kein Bus mehr.
TransCrime
Fenna Williams, seit 2016 als Leiterin der TransCrime AG aktiv, gestattete mir, bei der Gruppenarbeit dabei zu sein. Mit bislang wenig Berührungspunkten zu TransCrime kam ich mit dem Stift kaum hinterher, um die vergangenen und bevorstehenden Aktivitäten niederzulegen. Die TransCrime-Idee: Grenzen sprengen. Mehr Aufmerksamkeit für deutsche Krimiautorinnen im Ausland. Verbindungen schaffen über Landesgrenzen zu Expertinnen, Autorinnen, Lesenden - das Interesse an deutschen Krimis ist vorhanden. Angenehm die freundschaftlich-entspannte Atmosphäre und das engagierte Interesse der aus Schwestern verschiedener Regios bestehenden AG, die neben ihrer internationalen Botschafterin Fenna Williams maßgeblich geprägt ist durch die mit der Orga zusätzlich betraute Susanne Brügmann, durch die frühere Präsidentin der MS Carola Christiansen, durch die langjährige Schwester Gitta Edelmann, die sich zugleich als englische Übersetzerin präsentierte. Aus Platzgründen können leider nicht weitere, erfolgreich eingebundene Schwestern erwähnt werden, insoweit sei auf TOP 5 „Bericht TransCrime“ des Protokolls der Vollversammlung vom 9. 11. 2024 verwiesen, der die gesamte Bandbreite und Fülle der Aktivitäten zeigt.
Hervorgehoben sei, dass Fenna dabei ist, mit der Uni Cambridge eine internationale Community für Weiterbildung und Veröffentlichungen unter Einbeziehung der MS zu vereinbaren. Auch wird ein Online-live-Schreib-Workshop, ein Write Space, ins Leben gerufen. Gitta Edelmann erwähnte das elektronische Magazin der „Mystery People“, in der Schwestern Beiträge auf Englisch schreiben können – News from the Continent. Fenna berichtete von Experten-Veranstaltungen - TransCrime lädt z.B. Interpol ein, ein in Lyon ansässiger Verein zur Stärkung der Zusammenarbeit nationaler Polizeibehörden -, von geplanten Einladungen internationaler Gäste zur VV, u.a. dem Sohn George Orwells, den Vorsitzenden ausländischer Krimivereinigungen, der Direktorin der Alliance of Indipendant Authors (SelfPublishers), ferner von Schreib- und Lese-Retreats, Fortbildungen, Workshops in England, Frankreich, Italien (Venedig, Fennas Place to be) und der interessanten Frage, was bekannte englische Autorinnen selber lesen. Beim Blick auf den internen Bereich unserer Website mit den für 2025 angekündigten Workshop- und Schreibretreats - Fennas „Reiseinstitut“ - möchte man gleich den Koffer packen: Venedig, Österreich, Frankreich, Mittelengland und Wales.
Empfang durch die Präsidentin und Vollversammlung
Präsidentin Claudia Wuttke empfing „ihre“ MS: Es mache richtig Laune, sich zu engagieren, weil sie wisse, wozu sie das mache. Schön das Wiedersehen mit einigen „alten“ Schwestern, die dem Verein seit Jahren, sogar Jahrzehnten die Treue halten. Ebenso erfreulich, dass „junge“ Schwestern keine Schwellenangst haben und sich in den Austausch stürzen.
Die Geschäftstätigkeit und die Vorhaben des Vereins einschließlich des Websiteprojekts sind im Protokoll der Vollversammlung nachzulesen (TOP 2).
Zu den Anträgen und Abstimmungsergebnissen im einzelnen TOP 8. Es wird zusätzlich zum Stipendium (Jahresmitgliedschaft bei den MS und 2400 €) noch einen zweiten und einen dritten Platz geben (Jahresmitgliedschaft und 500 € bzw. Jahresmitgliedschaft). Klar gestellt wurde, dass das Lektorat von MS-Anthologien auch von Vereinsschwestern durchgeführt werden darf, soweit sie nicht selbst an der Anthologie beteiligt sind. Es wird eine Arbeitsgruppe gebildet werden zur Auslobung eines jährlichen Preises für das beste Debüt in der Kategorie Spannung einer deutschsprachigen Autorin ab 2026. Über die Besetzung der Jury wird die Arbeitsgruppe entscheiden. Es wurde vereinbart, eine Datenbank über vorhandene und zu bestellende Werbeartikel zu erstellen; die diesbezügliche Konspi liegt vor. Auch wird es ab Januar wieder eine Bestellung für Schwestern-Shirts geben.
Ein dicker Wermutstropfen ist die Ämterniederlegung von zum Teil langjährig aktiven und erfahrenen Schwestern in wichtigen Positionen, so unsere frühere Präsidentin und politische Beauftragte Janet Clark und die bewährte Wächterin über den Geldbeutel, Schatzmeisterin Ursula Schmid-Spreer, betreffend; viel Know-how geht auch verloren, weil Deborah Emrath das Sekretariat verlässt, und auch die Social Media Schwestern Sonja Wolfer und Nadine Edel sowie Yvonne Schlatter und Manuela Wirtz von der Mitgliederverwaltung gaben ihre Ämter ab.
Schwer fällt die Mitteilung, dass unsere Schwester Anette Schwohl kürzlich verstorben ist. Sie hat die VV nach Rendsburg gebracht und diese wunderbar vorbereitet, bis sie krank wurde.
https://www.moerderische-schwestern.eu/fileadmin/user_upload/MS_PM_Nachruf_Anette_Schwohl.pdf
Eröffnungsvortrag von Jessica J. Lee über das Genre New Nature Writing
Der Vortrag der Autorin Jessica J. Lee, Umwelthistorikerin und Herausgeberin der Literaturzeitschrift The Willowherb Review, entführte uns in die Welt des Nature Writing. Der kurze Exkurs in die Geschichte des Nature Writing machte klar, dass der Bereich lange von Autoren dominiert und eher konservativ war. Momentan befindet sich das Genre im Umbruch, besser gesagt im Aufbruch. Es werden neue Formen ausprobiert, weg von rein deskriptiven Texten zu experimentelleren Formen. Ein Textausschnitt aus „Small Bodies of Water“ von Nina Mingya Powles zeigt die Verbindung von Orten durch die Idee von Heimat, wobei das Heimatgefühl durch den Fokus auf Details lebendig wird. Der Schatz des Nature Writing für die fiktionale Literatur liegt in der Verbindung mit dem Schauplatz, die Hervorhebung von Details (Lupe), die Neugier für die Geschichte und Veränderung eines Schauplatzes, das Bewusstsein für die Lebendigkeit der Umgebung/Natur, das Einbeziehen von Sinneswahrnehmungen (Textur eines Blattes, Geräusche des Windes, Gerüche). Jessica J.Lee brachte uns ihre Begeisterung für die Natur nahe. Sie selbst müsse erst eine Obsession für einen Ort entwickeln, an den Ort reisen, wahrnehmen, Fragen stellen, einen Perspektivwechsel vornehmen, der Blick durchs Mikroskop würde ihr eine neue Welt offenbaren. In ihrem Werkzeugkasten stets dabei: Notizbuch in Form der NotizApp, Neugier, Hoffnung, einen offenen Geist, und dann kommt die gründliche Recherche.
Working
Da der Workshop „Recherchen und Recherchereisen“ mit Sandra Aslund leider nicht stattfinden konnte, stampfte das Orga-Team in kürzester Zeit zwei neue Seminare aus dem Boden: Exposé bei Fenna Williams und Basic Internet Security bei Klaudia Zotzmann-Koch. An dieser Stelle ein dickes Dankeschön für den Einsatz des Technik-Teams Klaudia und ihren Team-Kollegen, den einzige Mann im Saal.
Ich ging zu „24-Stunden-Hingucker“ - Storys erstellen in Instagram. Ja verflixt, es waren Vorkenntnisse und ein Instagram-Account erforderlich. Wahrscheinlich wäre ich besser im parallelen Workshop „Gateless Writing“ unserer Präsidentin Claudia Wuttke aufgehoben. Denn wer sucht nicht nach Inspiration und frischen Ideen? Wer kennt nicht ein sinnloses Gedankenkarussell? Andererseits ist ein fliegender Wechsel von Workshop zu Workshop nicht vorgesehen und so beobachtete ich doch fasziniert, wie Heike Stepprath, Social Media Managerin, von Schwester zu Schwester und von Handy zu Handy ging und individuelle Tipps zur Optimierung bereits existierender Accounts gab. Daher nur so viel (oder so wenig) von einer nicht social-media-affinen Schwester: Es ging darum, Storys aus eigenen und fremden Beiträgen, Fotos und Videos zu posten, wie man sie geschickt kombinieren und mit Filtern und Musik unterlegen kann.
Voll im Bild war die Verfasserin dagegen im Workshop „Wirtschaftskriminalität - mörderisch oder mörderisch langweilig?“ Dorit Hamer-Göbbel, Kriminalhauptkommissarin i.R. vom LKA Kiel, läutete ein mit der etwas provokanten Frage, welche Schwestern bereits mit realem Verbrechen und der Polizei Erfahrung gemacht hätten. Nur so viel: Es geht den Schwestern wohl doch eher um Fiktion. Frau Hamer-Göbbel füllte alsdann, locker und interessant plaudernd mit Konzept ausschließlich im Kopf, eineinhalb Stunden, sprach über Arten von Wirtschaftskriminalität, über die Ermittlungsarbeit in Theorie und Praxis, stellte konkrete Fälle vor und antwortete auf alle Fragen. Netterweise überließ sie den Schwestern ihren USB-Stick mit dem Konzept. Die darauf gespeicherte detaillierte Übersicht über ihr Fachgebiet endet mit dem Fall eines kriminellen Hochstapler-Arztes, der die Strafverfolgungsbehörden mit massivstem Betrug beschäftigt hat: Im Urlaub erblickt die Kriminalhauptkommissarin in einem dänischen Hafen ihren „Albtraum-Prinzen“, einen Arzt-Betrüger, der mit seiner Prinzessin und dem gemeinsamen Kind eine wunderschöne Yacht besteigt. Das teilt die KHK‘in sofort ihren Kollegen mit …“ Wie es weitergeht, sollte Frau Hamer-Göbbel der interessierten Krimi-Öffentlichkeit nicht vorenthalten. Ich empfehle eine Mitgliedschaft bei den MS.
Auch hier stellte sich die Schwierigkeit der Auswahl: Parallel fand der Fachworkshop „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit?!“ - Fluch und Segen der forensischen DNA-Analyse der Privatdozentin und Spurensachverständigen Dr. Nicole von Wurmb-Schwark statt. Da ich mich leider nicht aufteilen konnte, muss hier der diesbezügliche Hinweis auf das umfangreiche Programm der ausrichtenden Regio verwiesen werden.
Ladies Crime Night
Am Samstag-Abend konnten sich die nicht beteiligten Schwestern zurücklehnen und die Bühne im ausverkauften Saal des Kulturzentrums acht Autorinnen aus verschiedenen Regios überlassen. Sehr unterschiedliche kriminelle Geschichten wurden geboten, vom Psycho-Thriller bis zur Krimikomödie. Unterhaltsam und publikumswirksam las jede Schwester bis zum Schuss. Aus Platzgründen erwähnt sei hier ausschließlich die schottische Autorin und Mörderische Schwester (!) Marsali Taylor, die in englischer Sprache las: Slàinte Mhath („Prost“ auf Schottisch), danach folgte die deutsche Übersetzung, gelesen von Fenna Williams. Musikalisch gekonnt und kriminell-jazzig begleitet wurde der Abend von Schwester Jutta Wilbertz, die auf bekannte Melodien ihre eigenen schwarzhumorigen Texte daraufsetzte, sich selbst auf der Ukulele begleitend. Dickes Lob geht an die Schwestern der veranstaltenden Regio Hamburg und Schleswig-Holstein, die die LCN auf die Bühne brachten, und natürlich an Anke Küpper und Franziska Henze (Gewinnerin des Kurzkrimi-Glausers 2024), die selbstbewusst und mit verschmitztem Charme das Ereignis präsentierten.
Verleihung der goldenen Auguste und Vorstellung der Stipendiatin
Krönender Abschluss war die Verleihung der seit 2009 alle 3 Jahre verliehen Goldenen Auguste für Frauen, die für das Vereinsziel „Förderung der von Frauen geschriebenen Kriminalliteratur“ stehen, an Fenna Williams. Gewürdigt wurde ihr großes Engagement für ihre Mörderischen Schwestern und ihre unermüdliche Arbeit für TransCrime (Laudatorin Gitta Edelmann). Unsere Präsidentin Claudia Wuttke zu den Gründen für die Wahl Fennas: „Mit ihrer Pippa Bolle-Reihe hat sie den deutschsprachigen Krimi von Frauen im deutschen Markt durch eine gewitzte und pfiffige Stimme bereichert. Und die Mörderischen Schwestern sind dank ihres unermüdlichen Einsatzes bei TransCrime inzwischen über die Grenzen des Landes mit bekannt und fast schon berühmt geworden. Very well done!“. Ausführlich wurde über die TransCrime Projekte berichtet und das Vorhaben, die bisher hauptsächlich zum englischsprachigen Raum bestehenden Kontakte auf weitere Länder im europäischen Raum, u.a. Frankreich, auszuweiten. Verwiesen sei auf Fennas ausführlichen „Bericht TransCrime“ im Protokoll der Vollversammlung (TOP 5) und die detaillierte, interessante Darstellung von Redaktionsmitglied Sylvia Horlebein auf unserer Website: „Fenna Williams erhält die Goldene Auguste“.
Anschließend wurde die Gewinnerin des Arbeitsstipendiums vorgestellt. Die Stipendiatin und neue Mörderische Schwester ist Karin Müller aus Niedersachsen. Sie las sehr gut aus ihrem fürs Stipendium ausgewählten Projekt, dem humorvollen Cosy-Krimi „Ein Medium für alle Fälle - Norma Jeanette und die Amnesie aus der Waldsiedlung“. Eine ausgebrannte, hellseherisch begabte Heilpraktikerin für Psychotherapie löst widerwillig die Fälle unnatürlich verstorbener Klient*innen, die nach Feierabend ihre geschlossene Praxis heimsuchen.
Abschied
Danke dem Orga-Team, danke den Schwestern der Regio Hamburg und Schleswig-Holstein Angelique Sauerbrey, Franziska Henze, Anke Küpper, Heike Stepprath, Sabine Weiss, die dieses Ereignis möglich machten, einen geeigneten Ort fanden, ein außergewöhnliches, abwechslungsreiches Programm zusammenstellten und es freundlich und geduldig begleiteten. Das kreative, inspirierende Wochenende gab neuen Elan und das Wissen, dass unser Verein weiterleben wird und sich immer wieder krimibegeisterte Frauen finden werden, die ihre Freizeit dafür einsetzen, das Netzwerk der Mörderischen Schwestern immer weiter und dichter zu spinnen.
© Susanne Rüster und die Berliner Schwestern Vera Lohkamp (Bericht über den Vortrag von Autorin Jessica J. Lee über Nature Writing) und Marianne Meuser (Bericht über die Verleihung der Goldenen Auguste an Fenna Williams und die Lesung der Gewinnerin des Arbeitsstipendiums Karin Müller).